Gastkommentar

Gedanken zum 1.Mai – Dem internationalen Kampftag der Völker gegen Ausbeutung und Unterdrückung – Kommentar von Gerd Weismann

Gedanken zum 1.Mai – Dem internationalen Kampftag der Völker gegen Ausbeutung und Unterdrückung – Kommentar von Gerd Weismann
Michelangelos "Prophet Jeremia" nachempfunden, 2015, Acryl 120x150cm von Gerd Weismann.

Bild Gerd Weismann Gastkommentar von Gerd Weismann
01.05.2020, 00:00 Uhr



Baden-Baden In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht goodnews4.de Beiträge von Gastkommentatoren. Zum engeren Kreis gehören der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt, der Künstler und Aktivist Gerd Weismann und Thomas Bippes, der sich insbesondere den Themen der Digitalisierung, IT und Künstlichen Intelligenz zuwendet.

Gerd Weismann ist Baden-Badener, Künstler und Träger des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg.

Kommentar: Gerd Weismann CORONA - für manche ein wahrer Glücksfall, für viele nur eine kurze Verschnaufpause im Kampf um eine bessere Welt. Um im herrschenden Chaos zu erkennen wie es auf der Welt nach Corona weitergeht, sollte man sich kurz ins Gedächtnis rufen wie es vor Corona weltweit noch war.

Indien, Januar 2020: laut «Times of India» protestieren am 8. Januar rund 250 Millionen arbeitende Menschen in Stadt und Land mit einem Generalstreik gegen die gewerkschaftsfeindliche Politik der indischen Zentralregierung, gegen Kürzungen, Privatisierungen und Verschlechterungen des Arbeitsrechts.

Algerien, Januar 2020: seit Anfang des Jahres demonstrierten Millionen Menschen Woche für Woche landesweit gegen das algerische Autokraten-Regime, das sich nur der reichen Oberschicht und sich selbst gegenüber verpflichtet fühlt.

Chile: seit November 2019 sind Monat für Monat Millionen von Menschen in großen Protestzügen auf den Straßen und kämpfen für soziale Gerechtigkeit und für ein Leben in Würde.

Frankreich: seit Dezember 2019 wird das Land von Dauerstreiks lahmgelegt und von Massenprotesten erschüttert. Die Polizei geht paramilitärisch gegen die Demonstranten vor. Es gibt Tote und unzählige Schwerverletzte. 31.3.2020: die Gewerkschaft CGT ruft die Arbeiter und Angestellten für den gesamten April zum Landesweiten Streik auf.

In Deutschland gehen Anfang des Jahres Zehntausende Bauern auf die Straße. Unter dem Motto «Wir haben es satt!» protestieren sie gegen die Dumpingpreise der Supermärkte die viele Kleinbauern ins nackte Elend treiben.

Weltweit protestieren Millionen gegen die Klimapolitik ihrer Regierungen. Kein Klimawechsel, sondern ein Systemwechsel wird gefordert. Schluss mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise und der Gier nach Profit, für einen umweltfreundlichen und nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen des Planeten.

Kurz gesagt: der globale Kapitalismus erhält zu Beginn des Jahres gewaltige Kampfansagen. Der Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Landraub, Lohnraub, Raubbau, Profitgier und der damit einhergehenden physischen und psychischen Gewalt, gewinnt im Jahr 2019 und Anfang 2020 enorm an Kraft und Klarheit. An vielen Orten genügt ein Funke und das Pulverfass explodiert.

Hauptgrund sind die krassen ökonomischen Widersprüche, die die Menschen auf die Straße treiben: In Ecuador und Iran bringen Benzinpreiserhöhungen das Fass zum Überlaufen. Im Sudan ist der rasante Anstieg des Brotpreises ausschlaggebend. In Frankreich hat bereits Ende 2018 die geplante Erhöhung der Treibstoffsteuer und dann die Rentenreform die Protestbewegung in Gang gesetzt, die das Land bis zu Beginn der Corona-Krise an den Rand eines Bürgerkriegs bringt. In Libanon versetzt eine geplante Steuer auf Gespräche über Messenger-Dienste die Massen in Rage – und kostet den Ministerpräsidenten sein Amt.

Ähnlich in Chile, dem wohlhabendsten Land Lateinamerikas. Eine geringe Preiserhöhung der Metro-Billetts in Santiago genügt und die Tatsache, dass Mittelschüler, die die Eingänge zur U-Bahn blockieren, von der Polizei verprügelt werden und schon geht das halbe Land Woche für Woche auf die Straße. Die Verteilung der Einkommen ist in Chile – lange die Vorzeigenation neoliberaler Wirtschaftsreformer – höchst ungleich. Eine Preiserhöhung, welche die Regierung als vernachlässigbar einschätzt, wird so plötzlich zum Brandbeschleuniger.

Die neue Züricher Zeitung schreibt bereits Ende 2019: «Die Zeichen für 2020 stehen demnach nicht auf Entspannung, sie stehen auf Sturm... Damit wird es auch im neuen Jahr für die Machteliten vielerorts ungemütlich werden.»

Doch dann kommt Corona. Was für ein Glück - die Pandemie kommt wie gerufen, zumindest den Profiteuren des Elends. Lockdown / Ausgangssperre!

Massendemonstrationen - verboten! Streiks - verboten! Widerstand - schwierig bis unmöglich! Die Menschen werden für Wochen und Monate eingesperrt und voneinander isoliert. Der Sturm verebbt, der Aufstand liegt am Boden.

Die Wirtschaftswelt gerät durch die Maßnahmen zwar vollends aus den Fugen, aber es regt sich auf der anderen Seite wenigstens kein Widerstand mehr. Das Volk ist dazu verdammt, ohnmächtig, hilflos und geknebelt in den Wohnungen zu sitzen und den «Experten» aus Politik und Wirtschaft dabei zuzusehen, wie sie das, was sie bis dahin schon so wundervoll verbockt hatten, nun erst so richtig in den Sand setzen. Was sich vorher bereits seit längerem anbahnte - jeder und jede hat eine kommende weltweite Rezession längst in den Knochen und im Geldbeutel gespürt - findet nun innerhalb von Wochen gezielt und organisiert statt: die Wirtschaft wird vollends gegen die Wand gefahren. Ganze Wirtschaftszweige müssen schließen, Personal wird entlassen, Insolvenzen werden angemeldet, Staatsverschuldungen in Billionen Höhe. Eine Weltwirtschaftskrise ähnlich der Rezession 1929 steht ins Haus. Große Teile der Mittelschicht werden dabei in die Armut getrieben, Job weg, Geld weg, Haus weg, alles weg! Das Heer der Arbeitslosen erhöht sich sprunghaft, die Kluft zwischen Arm und Reich verstärkt sich über alle Maßen. (siehe Amerika, die Hochburg des Kapitalismus, wie immer einen Schritt voraus, die anderen Länder taumeln hinterher).

Aber - so kann nun den Betroffenen über die bürgerlichen Medien erzählt werden - nicht der Kapitalismus ist schuld an der Verelendung und am sozialen Abstieg ganzer Bevölkerungsschichten, sondern das kleine, elende Corona-Virus ist verantwortlich für den Zusammenbruch der Märkte. Das Kapital und dessen Apologeten können dem Volk die Auswirkungen des maroden Wirtschaftssystems als «Naturgewalt» verkaufen, der «wir Menschen» im Grunde machtlos ausgeliefert sind.

Den Pflegekräften, dem Dienstpersonal, den LKW-Fahrern, der arbeitenden Bevölkerung Beifall klatschen und gleichzeitig ein System verteidigen, das genau eben diese werktätigen Menschen permanent unterbezahlt, ausbeutet, demütigt, entwürdigt und in existenzielle Nöte treibt, das kann und darf und wird auch nicht mehr sehr lang gut gehen. Denn trotz weltweiter Corona gilt aktueller denn je die Losung von Karl Marx und Friedrich Engels: Proletarier aller Länder vereinigt Euch!


Zurück zur Startseite und zu den weiteren aktuellen Meldungen.