Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ – Wirtschaftliche Interessen und Anspruch auf Bespaßung vs. Gesundheitsschutz und Recht auf körperliche Unversehrtheit

Baden-Baden, 12.03.2020, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leser Oliver Haungs Stellung zu dem goodnews4-Bericht Gesundheitsminister Manne Lucha will Verordnung zum Verbot von Großveranstaltungen − Entscheidung «schnellstmöglich» im Kabinett.

Aktuell wächst der Widerstand gegen Veranstaltungsverbote bei Großevents. Begonnen hat diesen Wettlauf unser direkter Nachbar die Schweiz, wo es zuerst hieß, dass Veranstaltungen mit über 1.000 Personen verboten werden. Hinzu kamen höchst zögerlich einige Bundesländer (z. B. Bayern), die das gleiche Limit verordneten. Die Bundesregierung (durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn), ebenso wie manche Landesregierung, hält sich aus der Sache heraus und drückt sich vor der Verantwortung mit der Ausrede das sei die Verantwortung der Landkreise und Kommunen vor Ort.

Dabei geht es nicht um einen lapidaren kleinen Kinderschnupfen, der sich anschickt, sich auszubreiten, sondern eine veritable Pandemie, die bereits weit über 4.000 Personen das Leben gekostet hat und noch viel Zerstörungspotenzial in sich birgt. Das soll jetzt keine Panik hervorrufen, aber deutlich machen, dass es Zeit ist von Frau Dr. Merkel Führung einzufordern, anstatt auf Nebenkriegsschauplätzen in, im Vergleich dazu, weniger wichtigen bis unwichtigen Pressekonferenzen Statements loszuwerden.

Andere Länder machen es vor. Anstatt wichtige und hier notwendige Desinfektionsmittel und Schutzbekleidung an China zu verschenken hat z. B. Frankreich durch Weitsicht umgehend sämtliche Bestände und die Produktionsstätten dafür beschlagnahmen lassen. Bedachtes, nicht überstürztes Handeln ist gut in solch einer Situation, nur einschlafen sollte man dabei nicht. Italien ist inzwischen aufgewacht und läuft verschlafenen Entscheidungen hinterher.

Dass die Kanzlerin in Berlin die Dimension erkannt hat, könnte man meinen, zeigt sich an einem Statement von Frau Merkel, in dem sie lt. einer großen Boulevardzeitung bekannt macht, dass zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung damit rechnen muss mit dem Virus infiziert zu werden. Das scheint aber nur die halbe Wahrheit zu sein. Denn dekliniert man diese Zahlen bis zum Ende durch (was ich hier bewusst vermeide), die vom Robert-Koch-Institut, der Charite in Berlin und anderen renommierten WissenschaftlernInnen bekannt gemacht wurden, läuft es einem kalt den Rücken runter.

Der weltberühmte Risiko- und Wahrscheinlichkeitsforscher Nassim Taleb (Bestsellerautor «Der schwarze Schwan»), der seit Tagen auf Twitter nichts weniger ausdrücklich fordert als in Panik zu verfallen(!), hält es für gefährlich, übertriebene Vorsichtsmaßnahmen als «irrational» zu verwerfen.

Auch der US amerikanische Komplexitätsforscher Yaneer Bar-Yam bestätigt, dass China nur ganz knapp einer Katastrophe entkommen sei. Ausgehend von den rund 20 Krankheitsfällen, die China Mitte Januar aufwies, hätte es fünf Wochen später rund 100 Millionen Infizierte geben können, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zudem betonte er, wie wichtig «Isolations- und Quarantäne-Maßnahmen und die Beschränkung der Mobilität» in China gewesen sei. Das sind alles substanzielle Fakten, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen, um sie auf den Ernst der Situation ausdrücklich hinzuweisen und vorzubereiten. Und nicht die Verantwortlichkeit in Landkreise und Kommunen herunter zu delegieren und es dem Glück zu überlassen, ob dort die Dringlichkeit von den Verantwortlichen zufällig rechtzeitig erkannt wird. Mit einer derartigen Laissez-faire-Politik wird man dem Ernst der Lage nicht annähernd gerecht.

Bei allem Verständnis für die wirtschaftlichen Überlebensbegehrlichkeiten von Unternehmen (z.B. Dienstleister bei Messeveranstaltungen, Konzerten, kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen) und deren Beschäftigten, sowie den legitimen Bespaßungsbedürfnissen einer unterhaltungsaffinen Öffentlichkeit, so hat doch der Gesundheitsschutz der Bevölkerung und damit die körperliche Unversehrtheit oberste Priorität.

Hier ist kein hektischer Aktionismus angesagt sondern stringentes Setzen von Regeln und Verboten, sowie die aufmerksame Überwachung deren Einhaltung, die für einen überschaubaren Zeitraum auch zu ertragen sein muss im Angesicht der Lebensgefahr für Hundertausende Bürger. Es geht um nichts Geringeres als um die richtige Prioritätensetzung!

Oliver Haungs
Muggensturm


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