Folgen der Kosten-Explosion am Leopoldsplatz

Baden-Badener Leopoldsplatz wird zur Affäre - SPD-Stadtrat Knöpfel: "Stadtverwaltung hat Ratsgremien hintergangen" - Grüne, SPD und FBB setzen Oberbürgermeisterin Mergen unter Druck

Baden-Badener Leopoldsplatz wird zur Affäre - SPD-Stadtrat Knöpfel: "Stadtverwaltung hat Ratsgremien hintergangen" - Grüne, SPD und FBB setzen Oberbürgermeisterin Mergen unter Druck
Vlnr: SPD-Stadtrat Joachim Knöpfel, FBB-Stadtrat Martin Ernst, Grünen-Stadtrat Günter Seifermann. Fotos: goodnews4-Archiv

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goodnews4-O-TON-Interview von Nadja Milke mit Joachim Knöpfel
goodnews4-O-TON-Interview von Nadja Milke mit Martin Ernst

Baden-Baden, 28.01.2017, 00:00 Uhr, Bericht: Christian Frietsch Mit SPD, den Grünen und FBB setzen gleich drei im Gemeinderat vertretene Gruppierungen die Baden-Badener Oberbürgermeisterin gehörig unter Druck, denn im Zusammenhang mit der Vergabe des Auftrages zur Sanierung des Baden-Badener Leopoldsplatzes bahnt sich eine handfeste Affäre an. Dem für unbesonnene Gefühlsausbrüche nicht gerade bekannten Joachim Knöpfel, SPD-Stadtrat, Bundesverdienstkreuzträger und langjähriger SPD-Fraktionschef im Baden-Badener Gemeinderat, ist der Kragen nun offenbar geplatzt.

In einem Schreiben an die Rathaus-Chefin formuliert Joachim Knöpfel einen massiven Vorwurf: «Die Stadtverwaltung hatte die Ratsgremien hintergangen, als der Zuschlag an die Firma Weiss GmbH erfolgte.»

Schroff hatten in den letzten Tagen das Baden-Badener Rathaus und die CDU-Fraktion noch auf die goodnews4-Berichte der letzten Tage reagiert und einen Mauschelei-Verdacht schon vor einer ausführlichen Würdigung des Falles weit zurückgewiesen. goodnews4-Bericht vom 21. Januar 2017, goodnews4-Bericht vom 26. Januar 2017 und goodnews4-Bericht vom 27. Januar 2017.

Die Kosten für den Leo waren von angenommenen 4,8 Millionen auf 6,7 Millionen Euro hochgeschnellt. Obwohl dies der Stadtverwaltung schon im September letzten Jahres bekannt war, gab es dazu monatelanges Stillschweigen, bis der neue Baubürgermeister Alexander Uhlig diesen Missstand am Freitag letzter Woche an die Öffentlichkeit brachte. Es drängt sich überdies der Verdacht auf, dass das Bauunternehmen Weiss durch die Rolle von Oliver Weiss als Stadtrat und Mitglied des Bauausschusses über Informationen verfügte, die ihm gegenüber den anderen Wettbewerbern und Interessenten einen Vorteil verschaffte. Der CDU-Stadtrat ist auch Prokurist bei dem Bauunternehmen, das den Millionenauftrag erhielt. Während Oliver Weiss als Stadtrat und Mitglied des Bauausschusses schon seit September 2015 in den weiteren Verlauf im Bilde gewesen sein könnte, erfuhren seine Mitbewerber erst im Juli 2016 durch die Ausschreibung, dass sie sich um ein Bauprojekt bewerben dürfen, mit dem aber bereits im September begonnen werden musste. Um ein Bauprojekt von dieser Größenordnung zu kalkulieren und vor allem mit Personal und Maschinen vorzubereiten, dürfte das kurze Zeitfenster kaum ausgereicht haben. Warum die Stadtverwaltung 10 Monaten benötigte, um die Ausschreibung erst im Juli auf den Weg zu bringen, wird hoffentlich zu klären sein. Klar war zweifellos, dass die Bauarbeiten im September beginnen mussten, das hatte man den Baden-Badener Einzelhändlern zugesagt.

Von 11 Interessenten für das Sanierungsprojekt am Leo sprangen neun wieder ab. Auch darauf geht Joachim Knöpfel in seinem Schreiben ein: «Die Verwaltung hätte nicht nur die Gremien informieren müssen, sie hätte auch die Ausschreibung aufheben müssen, weil das günstigste von nur zwei Geboten schon 1 Million Euro über den Erwartungen der Verwaltung lag. Nicht nur die große Überschreitung des geringsten Angebots sondern auch die geringe Anzahl der Bieter hätte eine Aufhebung der Ausschreibung gerechtfertigt.» Das von der Firma Weiss abgegebene Angebot lag eine Millionen Euro über der Kalkulation des Baden-Badener Rathauses, das zweite abgegebene Angebot war noch einmal 700.000 Euro höher.

Auch die Grünen im Gemeinderat von Baden-Baden richteten gestern ein Schreiben an die für Vorgänge verantwortliche Baden-Badener Oberbürgermeisterin Margret Mergen. In dem von Stadtrat Günter Seifermann versandten Schreiben heißt es unter anderem: «Der Gemeinderat hatte keinerlei Möglichkeit, die nun nachträglich mitgeteilten Baukostensteigerung zur Kenntnis zu nehmen und über die Auftragsvergabe zu entscheiden. Insofern stellt sich für die bündnisgrüne Gemeinderatsfraktion die Frage, wer für die Nichteinhaltung gemeinderätlicher Beschlüsse und die Auftragsvergabe ohne die dafür ausreichenden Finanzmittel die Verantwortung trägt.» Zu den Kostensteigerungen in Millionenhöhe schreiben die Grünen: «Die genannten Leistungsausweitungen waren nie Thema im Gemeinderat. Im Gegenteil: Nach Erhalt der Angebote wurde uns berichtet, dass sich durch einen Sondervorschlag (Nebenangebot) eines Anbieters erhebliche finanzielle Einsparungen gegenüber den geplanten Kosten ergeben hätten.» Auch die Grünen beantragen nun nach «Vorliegen aller Erkenntnisse» eine Beschlussfassung im Gemeinderat und dessen zuständigen Ausschüssen.

FBB-Stadtrat Martin Ernst stellt in seinem Schreiben an Oberbürgermeisterin Mergen fünf Fragen: «1. Gemeinderat hat in seiner Sitzung am 28. September 2015 den Beschlussvorschlag zur Sanierung des Leopoldsplatzes mehrheitlich abgesegnet. Ist es richtig, dass die Ausschreibung erst volle 10 Monate nach dem Beschluss, also im Juli 2016 erfolgt ist und zwar mit der Maßgabe, dass der Baubeginn bereits im September sein sollte? 2. Welchen Charakter hatte die Ausschreibung, war sie beschränkt oder öffentlich? 3. Wer hat den Bauauftrag aufgrund welcher rechtlichen Basis unterschrieben? 4. Falls Sie, Frau Mergen, als Oberbürgermeisterin nicht selbst unterzeichnet haben, seit wann wussten Sie von dieser erheblichen Kostensteigerung und den damit neuen Vertragsbedingungen? 5. Fakt ist, dass die Bauvergabe kein Geschäft der laufenden Verwaltung ist? Warum wurden wir erst am letzten Donnerstag im nicht öffentlichen Teil von Herrn Bürgermeister Uhlig unterrichtet und warum wurde der Gemeinderat bis heute weder damit befasst noch informiert?» Und im goodnews4-O-TON-Interview gibt Martin Ernst einen Eindruck wieder, den er im Gespräch mit Bürgern gewonnen habe. «Viele Bürger sagen, es sind immer dieselben Firmen, die bei der Stadt Baden-Baden arbeiten. Wenn ich mir anschaue, wer für die Stadt arbeitet, dann muss ich den Bürgern, die diese Besorgnis ausdrücken, Recht geben.»

Besonders bedenklich wäre, wenn nicht mehr die Wettbewerbsfähigkeit den Ausschlag über die Auftragsvergaben entscheidet, sondern das Prinzip der Vetternwirtschaft. Vielleicht bringen die Fälle Leopoldsplatz und Vincentius nun etwas Licht ins Jahrzehnte lang nicht so helle Geschehen bei der Verteilung von Aufträgen und Posten im Baden-Badener Rathaus.

PDF Schreiben von Joachim Knöpfel an OB Mergen
PDF Schreiben von Martin Ernst an OB Mergen
PDF Schreiben von Günter Seifermann an OB Mergen


Abschrift des goodnews4-O-TON-Interviews mit Joachim Knöpfel:

goodnews4: Der Erste Bürgermeister Alexander Uhlig kritisierte die Kommunikationspolitik des Baden-Badener Rathauses im Zusammenhang mit der Sanierung des Leopoldsplatzes bereits letzte Woche. Nun gehen Sie, Joachim Knöpfel, einen Schritt weiter und werfen der Stadtverwaltung vor, sie habe «die Ratsgremien hintergangen, als der Zuschlag an die Firma Weiss GmbH erfolgte». Wie begründen Sie das?

Joachim Knöpfel: «Hintergangen» ist nur eine andere Umschreibung zu dem, was Alexander Uhlig selbst eingeräumt hat, die Ratsgremien wurden nicht informiert. Ich habe das Wort «hintergangen» gewählt, weil wir darüber verärgert sind, dass damals unser Antrag, die Bauarbeiten um ein Jahr zu verschieben, nicht von der Ratsmehrheit gutgeheißen wurde. Wenn die Verwaltung uns pflichtgemäß informiert hätte, wäre unser Antrag möglicherweise durchgegangen.

goodnews4: Die Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung haben Sie in einem Schreiben an Oberbürgermeisterin Margret Mergen erhoben und fordern eine Aufarbeitung des Falles in einer Hauptausschusssitzung. Wie kann man den Fall nun wieder auf einen geordneten Weg bringen? Oder bleibt das Kind im Brunnen?

Joachim Knöpfel: Wir wollen zuallererst, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Es kann nicht sein, dass eine Verwaltung, die ja auch ihre Erfahrung hat, ein Bauprojekt ausschreibt von etwa 2,1 Millionen, und dann kommt der günstigste Bieter und liegt locker eine Million darüber. Es muss gewährleistet sein, dass die Gremien künftig darüber sofort informiert werden und wir mit der Verwaltung zusammen die Ausschreibung möglicherweise aufheben. Die Vergabe ist erfolgt, da gibt es nichts mehr rückgängig zu machen. Die Firma Weiss ist jetzt am Bauen. Den Vertrag kann man jetzt nicht mehr rückgängig machen.

goodnews4: Ein Bericht von goodnews4.de brachte den Fall ins Rollen. Die CDU-Fraktion forderte mit Hinweis auf die goodnews4-Berichterstattung von der Oberbürgermeisterin die Offenlegung der Auftragsvergabe. Kennen Sie die Unterlagen der Auftragsvergabe?

Joachim Knöpfel: Ich bin sowohl Mitglied im Bauausschuss als auch im Hauptausschuss, im Gemeinderat ja sowieso, aber die Unterlagen der Auftragsvergabe werden uns nur auf Aufforderung vorgelegt. Das ist ein formalisiertes Verfahren. Die Verwaltung schreibt aus, das sind oft Ausschreibungen, die 30, 40, 50 Seiten stark sind. Jede angefragte Firma gibt dann ein Angebot ab und führt hinter jedem Gewerkt ihre Preise an, die sie verlangt. In der Regel bekommt der günstigste Bieter dann den Zuschlag, wenn sonst keine Hindernisse dagegenstehen. Im vorliegenden Fall war es eben so, dass von acht oder neun angefragten Baufirmen nur zwei ein Angebot abgegeben haben. Alleine das wäre nach unserer Auffassung Grund genug gewesen, die Ausschreibung aufzuheben.

goodnews4: Es waren sogar elf interessierte Unternehmen. In einem Schreiben an goodnews4.de bot Rathaussprecher Roland Seiter unserer Redaktion an, «das genaue Prozedere der Vergabeverfahren im Rathaus detailliert vorzustellen». Wenn es also keine rechtlichen Gründe gibt, diese Unterlagen nicht zu veröffentlichen, warum ist der Gemeinderat nicht informiert worden, zumal es ja eine signifikante Kostensteigerung gab?

Joachim Knöpfel: Da bin ich jetzt der falsche Ansprechpartner. Damals war Bürgermeister Werner Hirth noch im Amt und der zuständige Dezernent. Schwer vorstellbar, dass er alleine entschieden hat, das Verfahren durchzuziehen. Für die Verwaltung spricht sicher, dass sie umfangreiche Gespräche mit den Anliegern und den Geschäften rund um den Leopoldsplatz geführt und sich selber einen Zeitplan zurechtgelegt hatte, aber es kann eben auch sein, dass man mit dem Zeitplan durcheinanderkommt. Wie gesagt, meine Fraktion hatte ja ohnehin auch mit dem Blick auf die G20-Veranstaltung im März die Forderung, dass man das Ganze um ein Jahr verschiebt. Wenn hier ordentlich informiert worden wäre, hätte man ohne weiteres verschieben und neu ausschreiben können.


Abschrift des goodnews4-O-TON-Interviews mit Martin Ernst:

goodnews4: Nach der Berichterstattung in goodnews4.de wehrte sich das Rathaus Baden-Baden gegen einen Mauschelei-Verdacht in Zusammenhang mit der Vergabe des Bauauftrages Leopoldsplatz. CDU-Fraktionschef Armin Schöpflin forderte nach dem goodnews4-Bericht die Stadtverwaltung auf, die Auftragsvergabe für den Millionen-Auftrag offenzulegen. Auch die FBB hat sich heute mit einem Schreiben an OB Margret Mergen gewandt. Was sind Ihre Fragen an die Oberbürgermeisterin?

Martin Ernst: Wir haben insgesamt fünf Fragen. Bei der Auftragsvergabe im letzten Jahr, ich muss sogar noch etwas weiter ausholen: Der Gemeinderat der Stadt Baden-Baden hat im September 2015 beschlossen, dass eine Leo-Sanierung durchgeführt werden soll. Im Übrigen gegen die Stimmen der FBB. Ganze zehn Monate später, laut Presse, hat die Stadtverwaltung diese Leo-Vergabe erst ausgeschrieben, mit der Maßgabe, dass die Baufirma acht bis zehn Wochen später bereits mit dem Bau beginnen soll. Das ist für jede Baufirma quasi unmöglich. Eine zweite Frage haben wir: Welchen Charakter hatte die Ausschreibung, war sie beschränkt oder öffentlich? Dann möchten wir wissen, wer den Bauauftrag aufgrund welcher rechtlichen Basis geschrieben hat. Außerdem möchten wir von Frau Mergen, unserer Oberbürgermeisterin, wissen, ob sie den Bauauftrag unterschrieben hat und wenn sie es nicht selbst unterschrieben hat, ab wann sie von der erheblichen Kostensteigerung und damit den neuen Auftragsbedingungen wusste. Es besteht ja Einigkeit darüber, dass eine Bauvergabe kein Geschäft der laufenden Verwaltung ist. Warum wurden wir im Gemeinderat weder mit diesem Thema befasst, noch bisher überhaupt über diesen Vorgang informiert? Erst Baubürgermeister Uhlig hat in der letzten Bauausschusssitzung am Donnerstag im nichtöffentlichen Teil Teile des Gemeinderats informiert. Das kann ja wohl so nicht sein. Darüber möchten wir von der Frau Oberbürgermeisterin wissen, was da insgesamt abgelaufen ist und dass sie auf diese fünf Fragen sehr bald Antwort geben wird.

goodnews4: SPD-Stadtrat Joachim Knöpfel ist offenbar auch sehr aufgebracht. In einem Schreiben, das goodnews4.de vorliegt, schreibt er auch an die OB, dass die Stadtverwaltung die «Ratsgremien hintergangen» habe, «als der Zuschlag an die Firma Weiss GmbH erfolgte». Ein schwerer Vorwurf. Teilen Sie die Einschätzung von Joachim Knöpfel?

Martin Ernst: Herr Knöpfel hat in seiner Einschätzung eigentlich Recht. Die Frage, die sich aus diesem Vorgehen ergibt, ist: wofür brauche ich da noch einen Gemeinderat? Die Verwaltung macht trotz Beschluss einfach was sie will. Sie hält es nicht einmal für notwendig, bei einer Abweichung von fast 50 Prozent, den Gemeinderat zu informieren. Der Gemeinderat ist das Kontrollorgan der Stadtverwaltung. Ich habe das Gefühl, dass sich bei der Stadt sehr viel verselbstständigt hat. Das ist sehr schade und das kann auf Dauer so nicht bleiben.

goodnews4: Wo sehen Sie denn die Ursachen für die nun ganz offensichtlichen Versäumnisse des Rathauses gerade in Zusammenhang mit Bauprojekten?

Martin Ernst: Viele Bürger sagen, es sind immer dieselben Firmen, die bei der Stadt Baden-Baden arbeiten. Wenn ich mir anschaue, wer für die Stadt arbeitet, dann muss ich den Bürgern, die diese Besorgnis ausdrücken, Recht geben.

goodnews4: Wo sehen Sie die Ursachen für die Versäumnisse?

Martin Ernst: Die Ursachen könnten sein, dass Mitglieder der Stadtverwaltung bei Firmen, die sehr oft für die Stadt tätig sind, nebenberuflich nach ihrer Tätigkeit bei der Stadt tätig werden. Auf jeden Fall gibt es Dinge, die nicht so einfach sind und je länger ich in diesem Gemeinderat sitze, sehe ich, dass sehr viele Bürger mit ihren Bedenken Recht haben.

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goodnews4-O-TON-Interview von Nadja Milke mit Joachim Knöpfel
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