Gastkommentar von Gerd Weismann

Im Weihnachtskonsumwahnkaufrauschfieber – Weihnachten wäre die Gelegenheit wenigstens einmal im Jahr tatsächlich innezuhalten

Im Weihnachtskonsumwahnkaufrauschfieber – Weihnachten wäre die Gelegenheit wenigstens einmal im Jahr tatsächlich innezuhalten
Foto: goodnews4-Archiv

Baden-Baden, 09.12.2019, Kommentar: Gerd Weismann Dezember: Die Egotripp-Gesellschaft bereitet sich auf die größte Heuchel- und Konsumparty des Jahres vor. Grippe, Glitzer, Glöckchen, Glotze und Glühwein sollen helfen, die grassierende Kaltherzigkeit und Abgestumpftheit des Alltags zu verklären.

Angestrebt sind ein paar festliche Stunden des familiären Miteinanders in den eigenen vier Wänden mit glücklich leuchtenden Augen angesichts des neuen Smart-Phones fürs Kind, der Sigma Unisex-Pulscomputer Running-Uhr für Mami, die auf Ihre Linie achten muss, und der hübschen Krawattennadel, die Vati sooo dringend braucht ... the same procedure as every year.

Das Verrückte ist: Weihnachten geht immer und überall, egal was in der Welt gerade passiert. Ob Erster Weltkrieg an der Front, ob Stalingrad im Schützengraben, ob Vietnam vor dem nächsten Napalmeinsatz, am Weihnachtsabend wird kurz innegehalten, Lebkuchen verteilt, der Nächstenliebe gedacht und anschließend weitergeschlachtet - für Volk und Vaterland versteht sich und mit Gottes Segen und immer die Guten (wir) gegen die Bösen (die anderen).

Im Faschismus wurde das Fest der Nächstenliebe in den Familien zelebriert, während gleichzeitig die «nicht arischen Menschen» vom Haus nebenan aussortiert und mit Viehwagen der deutschen Reichsbahn abtransportiert wurden. Gefeiert wurde dabei besonders inbrünstig auch und gerade von denen, die das Unmenschliche inszenierten und organisierten.

Heute ertrinken vor aller Augen die Menschen zu zehntausenden im Mittelmeer auf der Flucht vor Klimawandel und Krieg, während sich die Verursacher der Katastrophen im «Haus Europa» die fetten Weihnachtsbraten in die unersättlichen Mäuler stopfen, sich unter dem familiären Lamettabaum gegenseitig mit Geschenken überhäufen, «oh du Fröhliche» singen und heile Welt spielen und es dabei, wie auch sowieso das ganze Jahr über, fertigbringen völlig zu ignorieren, dass draußen der großen Mehrheit die reale Welt gerade um die Ohren fliegt ... the same procedure as every year.

Die Devise ist: «Mir egal, Hauptsache ich komme auf meine Kosten!» Das Phänomen wird Selbstsucht genannt, oder Narzissmus, Egomanie, Egozentrik, Herzlosigkeit, oder verharmlosend auch Eigenliebe. Begriffe dafür gibt es genug und davon sind nicht nur Einzelpersonen betroffen - die virale Infektion mit Egomanie hat traurige gesellschaftliche Dimension.

Dabei wäre Weihnachten die Gelegenheit, wenigstens einmal im Jahr tatsächlich innezuhalten und wahrhaft aufrichtig zu sein, der geballten Heuchelei entgegenzutreten und die in eigentlich jedem von uns schlummernde Erkenntnis wachzurufen und seiner Familie unter dem Baum zu sagen: «ALLES LÜGE! Die Macht des Geldes beherrscht die Gesellschaft und nicht die Macht der Nächstenliebe - auch und vor allem an Weihnachten! »

Für die verzweifelten Weihnachtsgebete der wenigen, die noch aufrichtig an ihren Gott und an das Gute im Menschen glauben, die noch auf die selbstlose Mantelteilung und auf die hilfsbereite Stallbeherbergung hoffen, bleibt unterm Stern nur noch die fromme Bitte und der bittere Appell: öffnet wenigstens am Weihnachtsabend die Herzen und Gehirne für die fromme Botschaft der Nächstenliebe und Barmherzigkeit.

Aber, so müssen sich diese hoffnungsvollen Gläubigen fragen lassen, wie sollen Herzen sich öffnen die mit Geld, Gier und Glühwein verkleistert sind? Wie sollen Gehirne jemals intelligent und human denken, die auf Konkurrenz und Narzissmus programmiert sind?

Das geht nicht, daraus wird einfach nichts! Die Betroffenen kapieren noch nicht einmal das Anliegen von diesem Gastbeitrag, vorausgesetzt sie überhaupt willens und in der Lage sind so viele Buchstaben hintereinander am Stück zu lesen. In diesem Sinn: weiterhin (f)rohe Weihnachten.

Zum Autor: Gerd Weismann ist Baden-Badener, Künstler und Träger des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg.


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