Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ – „OLG-Entscheidung zu jüdischem Millionenerbe“ und „Rami Suliman – Sorgen der Juden in Baden-Baden“ – Es gibt noch Richter in Karlsruhe! Doch wer verhilft unseren jüdischen Mitbürgern zu ihrem Recht in Baden-Baden?

Baden-Baden, 14.10.2019, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leserin Gertrud Mayer Stellung zu dem goodnews4-Bericht Entscheidung zu jüdischem Millionenerbe aus Baden-Baden − Diskussionspotential für altes Synagogengrundstück und Neues Schloss.

Der Jude Dr. Ernst Gallinek, geboren am 22.06.1865 in Breslau, lebte seit dem 12. Juni 1935 in Baden-Baden, Scheibenstraße 18, dem heutigen Hotel Magnetberg. Er war vermögend, kultiviert und Sammler von Porzellan, Gemälden, Elfenbeinminiaturen und anderem mehr. Am 9. November 1938 brannte die Synagoge in der Stephanienstraße 5 lichterloh bis auf die Grundfeste herab. Dieser Teil der unseligen Geschichte Deutschlands und Baden-Badens ist umfassend bekannt. Man fragt sich, ob Herr Dr. Gallinek das Feuer am unteren Ende der Scheibenstraße von seinem Fenster sah oder ob er als gläubiger Jude in der Synagoge war und zu den Männern gehörte, die von der Synagoge aus durch die Stadt marschieren und nach Dachau transportiert wurden? Ab wann war er wieder zurück in Baden-Baden? Haben ihn die Erlebnisse der Haft in Dachau bewogen, 1939 sein Testament zu machen? Er starb am 21. Juli 1940, kurz bevor Baden-Baden durch die Deportation nach Gurs «judenfrei» wurde. Bleibende Fragen: Wurde Dr. Gallinek auf dem jüdischen Friedhof in Lichtental begraben, und wer sprach das Kaddisch für ihn?

Sein Neffe Dr. Hans Gallinek, der im Testament bestimmte Erbe, war rechtzeitig in die USA ausgewandert und so dem Völkermord durch die Nazis entgangen. Er starb 1982 in New York und hinterließ Erben, denen die Karlsruher Richter am Oberlandesgericht jetzt den Erbschein ausstellten. Folglich muss das Land Baden(-Württemberg), respektive das Landesmuseum in Karlsruhe, die 1941 von den Nazis enteignete und vereinnahmte wertvolle Kunstsammlung von mehr als 400 Porzellanteilen und Elfenbeinminiaturen herausgeben und den rechtmäßigen Erben übereignen. Dabei handelt sich hier um einen Marktwert von mindestens einer Million Euro, was sicher noch genauer taxiert werden muss.
Weitere Fragen bleiben offen: Wohin kam das gesamte sonstige Eigentum des Dr. Gallinek? Gibt es davon noch Möbel, Silber, Gläser, Teppiche in heutigen Baden-Badener Haushalten? Was wurde aus der Wohnung Scheibenstraße 18 nach 1940? Erst ab 1942 beherbergte sie das vom ausgebombten Mannheim übersiedelte Schweizer Konsulat.

Nun reibt sich der Leser die Augen: nah der Scheibenstraße 18 gibt es das Grundstück Stephanienstraße 5. Wurde hier nicht nur eine Porzellansammlung sondern ein Grundstück enteignet, nachdem die Synagoge niedergebrannt war? Fiel dieses nicht auf verschlungenen Wegen in den Besitz der Stadt Baden-Baden und noch verschlungener nach dem Krieg in das Eigentum der Familie Hambruch, dem Verleger des «Badischen Tagblatts»? Heute gehört das Synagogen-Grundstück den drei letzten Nachkommen des Werner Hambruch, Eva Ertl geborene Hambruch, Yvonne Hambruch-Piesker und Xenia Richters.

Diese lehnen bisher kategorisch jedes Gespräch über das Synagogen-Grundstück in der Stephanienstraße 5 mit dem rechtmäßigen Eigentümer von 1938, also der Israelitischen Kultusgemeinde Baden-Baden ab und nutzen das geweihte Grundstück schändlich als Parkplatz für die Mitarbeiter des Badischen Tagblatts. Es ist wohl Jehovas Finger, der nach der Gräueltat von Halle auch auf sie und Baden-Baden zeigt!? Ein beschreibendes Adjektiv verbietet sich für das Verbrechen in Halle, aber der stellvertretende Chefredakteur des BT Jürgen Volz (als «His master's voice»?) schreibt dazu am 10.10.2019 einen Leitartikel und will «Entgegentreten». «81 Jahre nach … der Reichspogromnacht ist der Hass auf die Juden allgegenwärtig». Bezieht er das also auch auf seine Zeitung, das «Badische Tagblatt», seine Verlegerinnen, seine Geschäftsführer, die Redakteure und Mitarbeiter?

«Anhaltende Tabubrüche [verändern] das gesellschaftliche Klima zum Schlechten.» Ist also der Antisemitismus wieder salonfähig und in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Gehören etwa die «Stützen der Gesellschaft», die drei Verlegerinnen und ihre Entourage dazu? Will das der stellvertretende Chefredakteur damit sagen? «Worauf es jetzt ankommt, ist die Solidarität mit den jüdischen Gemeinden und unseren jüdischen Mitbürgern. Und zwar eines jeden von uns.»

Wie ist diese Forderung zu interpretieren? Sucht sich Herr Volz jetzt täglich einen Parkplatz außerhalb des umfriedeten Geländes, das den Juden heilig ist? Akzeptiert er als Andersgläubiger den Glauben des Mitbürgers? «Wer in der eigenen (Verleger-] Familie mit offenem Antisemitismus konfrontiert wird, muss diesem ganz entschieden entgegentreten.» Will er seine Geschäftsführerin Eva Ertl, geborene Hambruch, zu deren 90. Geburtstag am 18. Oktober auffordern, Schritte zu unternehmen und das Synagogengrundstück in der Stephanienstraße 5 herauszugeben, der jüdischen Gemeinde rückzuerstatten, dass es seinem heiligen Zweck, dem Bau einer neuen Synagoge zugeführt werden kann.

Jürgen Volz schließt mit der strikten Forderung: «Das darf eine zivile Gesellschaft nicht zulassen.» Baden-Baden will Weltkulturerbe werden: Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft passt nicht dazu. Das wurde schon einmal vererbt und sollte nicht in die Zukunft getragen werden. Hier wäre die neue Bürgerbeauftragte Beate Böhlen gefragt, die sich ihre ersten Meriten verdienen und ihren jüdischen Mitbürgern zu ihrem Recht verhelfen kann. Denn das «Badische Tagblatt» legte am 11.10 2019 mit seinem Leitartikel noch einmal nach. Der sogenannte Berliner Korrespondent Hagen Strauß zitiert den linken Bertolt Brecht: «Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.» Erstaunlich, dass er das unter Eva Ertls Geschäftsführung so schreiben darf. Denn er trifft doch zweifellos den Nagel auf den Kopf, oder?

Rami Suliman sagte dazu am 11.10 2019: «Die mörderische Gewalt hat uns erreicht.» Und was sind die «mitfühlenden» Worte der OB Margret Mergen in einem Brief an die Israelitische Kultusgemeinde Baden-Baden und die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden: «Wir sind in Gedanken bei Ihnen allen … Wir gehen dabei mit ihnen Hand in Hand». Gemeint ist damit wohl mehr angebliche Sicherheit durch die Polizei u.a.m. Das ist aber nicht der Kern der Sache: die Wurzel ist der Antisemitismus, der ausgerottet werden muss, auch wenn er schon Jahrtausende alt und immer stärker geworden ist.

Gertrud Mayer
Baden-Baden


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