Leserbrief

Leserbrief "Meine Meinung" – Schreiben von Stadtrat Niedermeyer an Leserbriefschreiber Holstein – „Ich argumentiere nicht aus akademischer Überheblichkeit"

Baden-Baden, 28.07.2022, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leser und Stadtrat Wolfgang Niedermeyer Stellung zu dem Leserbrief von goodnews4-Leser Wolfgang Holstein Leserbrief «Meine Meinung» − «Einverstanden mit dem Leserbrief von Frau Dr. Hannewald» − «Dieser selbsternannte Weltmeister aller Klinikplaner».

Werter Herr Holstein,

ich weiß nicht was sie beruflich so machen, aber ich nehme an, dass sie ebenfalls aus dem Gelernten und Ihren Erfahrungen allgemeine und kompetente Schlüsse ziehen.

Schön, dass sie die Kostenfrage beim Klinikum aufwerfen. Es wäre tatsächlich bodenloser Leichtsinn, diese nicht in die Grundlagenuntersuchung einzubeziehen. Und ja, ich habe die Gegenüberstellung der Schätzkosten gesehen und auf Plausibilität untersucht. Bei einem Gläschen Wein könnte ich darüber ausführlich referieren. Auch Sie hätten das nachvollziehen können, liegt das doch alles seit 1 ½ Jahren auf dem Tisch. Dass dies bei Ihnen und den meisten Bürgern nicht angekommen ist, sollten Sie einmal mit der EX-OB Mergen besprechen, die für die desaströse Kommunikation die Verantwortung trägt. Die gab es übrigens auch beim Welterbe und Sie dürfen mir glauben, dass ich INTERN deutlich auf solche Probleme aufmerksam mache. Aber ich lasse mir diese Schelle, wie von Herrn Frietsch versucht, nicht umhängen.

Aber zurück zum Klinikprojekt. Da möchte ich mir Ihr wohlwollendes Prädikat «Weltmeister aller Klinikplaner&rauqo; nicht zu eigen machen, aber Ihnen kurz schildern, dass ich beruflich ein fast kongruentes Projekt vorweisen kann. In den 70-er Jahren war ich an einem Gutachterwettbewerb beteiligt, der die Zukunftsmöglichkeiten eines Krankenhauses der Maximalversorgung mit über 1.000 Betten, verteilt in etlichen Gebäudetrakten, beurteilen sollte. Nach gründlicher Untersuchung kam ich zu dem Entschluss, dass diese Klinik mit der vorhandenen Substanz und den gegebenen Möglichkeiten eben keine mittelfristige Zukunftschance haben wird. Dies habe ich dann dem Träger vorgetragen und für ein «Parallelkrankenhaus» auf einem Nachbargrundstück und anschließender Verwertung der Altbauten plädiert. Die Kosten dafür hätten damals bei etwa 200 MIO (DM) gelegen. Sie können sich vorstellen, dass dies stolzen Kommunalpolitikern absolut nicht passte und meine Chance gleich Null war. Ich bekam aber trotzdem den Auftrag, diesmal ein Sanierungskonzept bei laufendem Betrieb zu entwickeln und umzusetzen.

 

Diese Sanierung lief dann über 2 Jahrzehnte kostete weit mehr als 100 MIO (damals DM) und belastete nicht nur den laufenden Krankenhausbetrieb erheblich, sondern auch mich und meine Mitarbeiter ganz außerordentlich, denn wir mussten jedes Mal die Gründe für die Friktionen beim Bauen kommunizieren und transportieren, für die wir letztlich nicht verantwortlich waren.

Das Endergebnis zusammengefasst ist: am Ende war auch mit der aufwendigsten Sanierung, wie von mir gutachterlich vorausgesagt, keine Zukunftsfähigkeit garantiert. So wurde vor 10 Jahren ein Parallelkrankenhaus geplant. Dieses Jahr wird es in Betrieb gehen. Übrigens mit einer Bettenreduzierung von 1.000 auf 700 Planbetten. Kosten wird es 350 MIO Euro.

Ich argumentiere also nicht aus akademischer Überheblichkeit, sondern aus meinem beruflich angesammelten Wissen und muss mich damit auch nicht verstecken.

Wer sich umschaut wird erkennen, dass von Aurich im Norden bis Lörrach im Süden überall in den Landkreisen Klinikneubauten mit dem gleichen Programm wie bei uns in Planung und Bau sind, sie alle bündeln drei bis vier vorhandene Kliniken, um mit neuen Ressourcen zukunftstauglich zu werden. Nicht allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen, sondern vor allem um den personellen Problemen in der Zukunft besser begegnen zu können und der eingeforderten Qualitätssicherung und Professionalität im medizinischen Bereich zu entsprechen. Die Kosten liegen überall um die 350 MIO.

Wer davor aus lokalpolitischer Überheblichkeit die Augen verschließt, setzt den gesetzlich vorgegeben Versorgungsauftrag für seine Bürger aufs Spiel. Ich habe allen Respekt vor dem emotionalen Vortrag der Tochter des OB Carlein im Gemeinderat, in dem sie die Lebensleistung ihres Vaters, besonders was die Klinik betrifft würdigte. Leider ist es aber so, dass die speziellen Klinikstrukturen der Neubauten der 60er und 70er Jahre nicht weiterentwickelbar sind. Hier ist, so schlimm das klingt und wie sehr sich mancher darüber aufregen wird, nur «Sterbehilfe» möglich (siehe oben).

Und noch etwas Herr Holstein. Ich freue mich über Ihr Engagement mit dem sie sich «Einmischen&rauqo;. Ich habe mich auch fast 10 Jahre lang von «außen» für unser Stadtbild eingesetzt und letztlich erkannt, dass es produktiver ist dies im «inneren» Kreis, also im Gemeinderat zu tun. Ich habe mich zur Wahl gestellt und kann jetzt bei kommunalpolitischen Themen mitwirken und Anregungen geben – jedenfalls dort, wo ich mich kompetent fühle. Mit 80 Jahren beschneide ich damit sicherlich ein Stück meiner verbleibenden Lebensqualität.

Ich kann Sie nur ermutigen, wenn Sie engagiert «mitmischen» wollen, sich bei der nächsten Wahl aufstellen zu lassen.

Bis dahin mit freundlichen Grüßen

Ihr
Wolfgang Niedermeyer

ps
Ich erlaube mir diese Zeilen auch den Fraktionen und dem OB zur Mitkenntnis zu geben.


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