Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ zu Leserbriefen von Eberhard Wolpert vom 11.04 2019 und Rudolf Rust vom 25.04 2019 – „Ad fontes: Ist das Synagogengrundstück Opfer von Hehlerei geworden?“

Baden-Baden, 02.05.2019, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leserin Gertrud Mayer Stellung zu dem Leserbrief von goodnews4-Leser Eberhard Wolpert Leserbrief «Meine Meinung» − Zum Leserbrief von Gertrud Mayer und dem Leserbrief von goodnews4-Leser Rudolf Rust Leserbrief «Meine Meinung» zum Leserbrief von Eberhard Wolpert − Cum grano salis: Ist Wolpert Eva Ertls «Mann fürs Grobe»?.

Die Historie des Synagogengrundstücks Stephanienstr. 5 stammt nicht aus einer «Fabelwelt», wie es Herr Wolpert nennt. Es sind traurige, belegte Fakten, die in Baden-Baden verschwiegen und verdrängt werden. Erfüllen sie den Straftatbestand der Hehlerei (§ 258 StGB)? «Sachhehlerei begeht derjenige, der seines Vorteils wegen Sachen (hier: Grundstücke), von denen er weiß oder den Umständen nach annehmen muss, dass sie durch eine strafbare Handlung erlangt sind, verheimlicht, ankauft, zum Pfand nimmt oder sonst an sich bringt oder zu ihrem Absatz bei anderen mitwirkt. Strafe: Gefängnis, bei gewerbs-, gewohnheitsmäßiger und rückfälliger Hehlerei bis zu 10 Jahren» (§§ 260, 261 StGB).

Die jahrzehntelange Diskussion um das Eigentum, das während der Herrschaft des Nationalsozialismus vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 ihren Eigentümern, insbesondere den jüdischen Opfern des NS-Terrors, verfolgungsbedingt gestohlen wurde, kommt endlich in die Öffentlichkeit. Presse, Filme, Bücher und anderes mehr nehmen sich der Sache an und bringen Licht in die dunklen Machenschaften. Nach 1945 gab es nicht die rechtlichen und moralischen Wiedergutmachungen. Das bestehende Unrecht wurde manifestiert, verschleiert oder die Güter sogar mit Gewinn weiterverkauft.

«Der Fall Max Emden» ist seit einigen Tagen in den Kinos und beschreibt Deutschlands Schande. Der jüdische Unternehmer (1874 – 1940) war um seinen Immobilienbesitz gebracht worden und seine Erben gerieten in die Abgründe der deutschen Rückerstattungspolitik. Sie hofften auf Entschädigung und kämpfen gegen die Nutznießer der Entrechtung, zu denen auch die Stadt Hamburg und die Bundesrepublik Deutschland gehören. Ihr Rechtsanwalt Markus Stoetzel kämpft um die Rückgabe des geraubten Gutes, das nach den Vereinbarungen der Washingtoner Erklärung von 1998 restituiert werden muss. Auch die Bundesrepublik hat das Abkommen unterzeichnet. Aber Deutschland kommt seinen Verpflichtungen nicht nach, beklagt der Präsident des Jewish Committee Ronald S. Lauder. Man kann es als mangelndes Verständnis für die Gefühlslage der Erben abtun, aber dabei verdrängt man bewusst den rechtlichen Tatbestand. Die Zeit läuft ab - so wie die Lebenszeit der jüdischen Erben.

Schauen wir vom großen Ganzen auf das kleine Baden-Baden. Hier ist das Unrecht ebenso groß, und die fehlende Moral und (vererbte?) Ignoranz der drei Eigentümerinnen Eva Ertl, geb. Hambruch, Yvonne Hambruch-Piesker und Xenia Richters lässt diese auf ihrem Besitz des Synagogengrundstücks beharren. Sie sind nicht einmal gesprächsbereit. Haben sie Angst, das Unrecht in ihrer Familiengeschichte wird noch weiter ans Licht gefördert? Wollen sie fortwährend historische Fakten leugnen?

1938 brannte die Synagoge nieder und das Grundstück wurde danach zu städtischem Eigentum. Die Stadt Baden-Baden lässt die Brandreste für 9.000 Mark abreißen und verkauft 1955 das Grundstück Stephanienstr. 5 für 14.000 D-Mark an die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden mit Sitz in Karlsruhe. Die war aber nicht der Rechtsnachfolger der Israelitischen Kultusgemeinde Baden-Baden. Es gab eine zivilrechtliche Behandlung des Synagogengrundstücks, «auf dem noch das ursprünglich von Kantor Grünfeld bewohnte Haus stand, das 1942 von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland an die Stadt Baden-Baden zum Preis von 14.000 Mark verkauft worden war. Im Jahre 1946 verlangte der Oberrat der Israeliten Badens eine Entschädigung. Erstaunlicherweise wurden die Ansprüche … von OB Schlapper abgelehnt (Kaufvertrag vor dem Notariat I vom 3.9.1947) … vom Kaufpreis mussten noch 9.000 Mark für die Abbruchkosten der Synagoge bezahlt werden. Da die Rechtslage durch eine zwischenzeitlich erlassene Verordnung klar war (Verordnung Nummer 120 vom 14.11 47, im Journal Officiel Nr. 119) wurde der Streitfall mit einem für die Stadt ungünstigen Vergleich beigelegt: der Kaufvertrag wurde rückgängig gemacht, und die Stadt hatte die Kosten zu tragen (Landgericht Offenburg vom 23.02.49).»

Warum zeigte sich OB Schlapper so ablehnend? Wer war eigentlich Ernst Schlapper? Er wurde am 13.12 1888 in Essen geboren, stammte aus einer kleinbürgerlichen Familie mit 11 Kindern, hatte weder Abitur noch einen deutschen akademischen Abschluss, wurde Privatsekretär von August Thyssen, kam wegen Devisenvergehens ins Gefängnis und wurde 1937 entlassen. Von 1946 bis 1969 war er Oberbürgermeister (CDU) von Baden-Baden, danach Ehrenbürger der Stadt und ein Platz nach ihm benannt.

Von 1947 bis 1952 war Dr. (?) Ernst Schlapper Abgeordneter des Badischen Landtags. Von der amerikanischen Militärregierung wurde am 10. November 1947 das erste Wiedergutmachungsgesetz erlassen: Es war das Gesetz Nummer 59, über die Rückerstattung des im Zuge der „Arisierung der Wirtschaft“ den Juden geraubten Vermögens. Es regelte die Rückgabe von Grundstücken, etc. durch die deutschen «Ariseure», die sich an dem billig und unter Zwang verkauften jüdischen Eigentum bereichert hatten. Nach dem Krieg behaupteten nun alle, sie seien «Loyale Ariseure» gewesen, die angemessene Preise gezahlt hätten. Sie schlossen sich in dem von OB Schlapper gegründeten «Bund für loyale Restitution» zusammen, in dessen Monatsschrift «Die Restitution» sie gegen das alliierte Rückerstattungsgesetz Sturm liefen (vgl. W. Schwarz, Rückerstattung). Es gelang ihnen später sogar (Bundesgesetzblatt Nr. 13, 1969), sich als «Opfer» der Wiedergutmachung zu stilisieren und entschädigen zu lassen.

Das Synagogengrundstück Stephanienstraße 5 war im Besitz der Israelitischen Religionsgemeinde Baden in Karlsruhe, die es, (durch Vermittlung von OB Schlapper?) 1955 an den Verlag «Ernst Koelblin Hofdruckerei Baden-Baden KG» und den damaligen Geschäftsführer Werner Hambruch für 50.000 D-Mark verkaufte. Hat OB Schlapper hier gleichzeitig als Makler gearbeitet und bei der «Restitution» des Grundstückes an die Juden gleich den Kaufinteressenten Hambruch mitgeliefert? Ein undurchsichtiges Geschäft mit «au goût»! Wie dem auch sei: es ändert nichts an den Rechtsnachfolgern. Für OB Schlapper ist es die Stadt Baden-Baden mit ihrer Verwaltung, dem Gemeinderat und OB Mergen. Für Werner Hambruch sind es die lebenden Erben Eva Ertl, geb. Hambruch, Yvonne Hambruch-Piesker, Xenia Richters. Natürlich ist das Grundstück heute nicht mehr im Besitz der Hofdruckerei, die gibt es nur noch als Inschrift am Gebäude in der Stephanienstr. 3. Zunächst hat man die «Hofdruckerei KG» und dem Synagogengrundstück in die «Ernst Koelblin GmbH & Co. KG» überführt. Diente die folgende Verschmelzung der Firma mit der Göller KG und die Einbringung des Grundstücks in die «Ertl & Richters Druckereibetriebsgesellschaft mbH & Co Multimedia KG» einer Verschleierung früherer Hehlerei? Etwa von Frau Eva Ertl mit Schwester und Nichte? Mitnichten?

Sie alle sind zur Restitution verpflichtet, haben sich an verfolgten Juden bereichert, sind nicht einmal zu Gesprächen bereit und wollen sich ein weiteres Mal zu Unrecht bereichern – so hat es den Augenschein. Diese Frage ist zu beantworten, was mit Hilfe von Verträgen, Akten, Schriftstücken möglich ist. Schließlich der moralische Aspekt: Es darf nicht sein, dass eine Pressemitteilung des Vereins «Stadtbild» vom 17.04 2019 auf goodnews4 den Wiederaufbau der Synagoge nur unter dem Gesichtspunkt «es war einst ein stadtbildprägendes Gebäude» befürwortet. So viel ethisch-moralische Ignoranz ist unglaublich, zumal der Vorsitzende sich in der anstehenden Kommunalwahl als Spitzenkandidat eines politischen Vereins für den Gemeinderat bewirbt. Man kann dem Bürger und Wähler nur ans Herz legen, genau hinzuschauen, wie er seine 40 Stimmen verteilt. Denn es geht um die nächsten fünf Jahre der Zukunft für Baden-Baden, nicht nur der Stadt, sondern auch ihres Wesens, Denkens und Handelns: ihrer Integrität.

Der Vorwurf der Hehlerei soll doch nicht für alle Beteiligten im Raum stehen bleiben – oder?

Gertrud Mayer
Baden-Baden


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