Leserbrief
Leserbrief „Meine Meinung“ – „Zu Wolfgang Grenkes Sommerinterview“ – „Leider hat die Stadt eine große Chance vertan“
Baden-Baden, 19.08.2022, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leser Gerold Lohmüller Stellung zu dem goodnews4-Bericht «Über die letzten Jahrzehnte haben wir weniger Kriege und weniger Tote durch Hunger» − Wolfgang Grenke im goodnews4-Sommergespräch auch zu Klinikfrage und Aumatt-Ausstieg.
Die Äußerungen von Wolfgang Grenke zum Thema Aumatt sind äußerst befremdlich.
Um Baurecht für den Bebauungsplan Dienstleistungszentrum Aumatt zu erhalten, wurden von Beginn an die Bürger/-innen, der Gemeinderat und nicht zuletzt auch der Gestaltungsbeirat einschließlich Planungsbüros mit Tricksereien hinters Licht geführt:
• Den Anwohnern wurde vorgegaukelt, dass eine Überplanung des Gebietes notwendig sei um Wildwuchs nach §34 BauGB zu verhindern.
• In Briefen an den Gemeinderat wurde der Anschein erweckt, dass die Eigentumsverhältnisse an den Grundstücken geklärt seien und einem neuen Silikon Valley nichts mehr im Wege stehen würde.
• Dem Gestaltungbeirat und den Planungsbüros wurde eine Gewerbeplanung als alternativlos verkauft. Das Aumattgelände sei quasi das einzig verbliebene und mögliche Gewerbegebiet in Baden-Baden. Dies, obwohl im Regionalplan des Regierungspräsidiums der überplante Bereich als Siedlungsfläche für überwiegende Wohnbebauung/Mischnutzung festgelegt ist.
• Tiefgreifende Veränderungen bei der Arbeitswelt hin zu mehr Home-Office waren aber auch schon vor der Corona-Pandemie abzusehen.
Bevor irgendeine Form von Bürgerbeteiligung stattfand war in der Presse zu lesen: «Grenke kommt nach Oosscheuern!» Frau OB Mergen wurde im März 2018 von ihrer Fraktion aufgefordert es nicht wie eine Gefälligkeitsplanung aussehen zu lassen. Später im Jahr hat man aus Angst vor einer zu offensichtlichen und verbotenen Gefälligkeitsplanung im Verfahren nur noch «Start Up’s» und IHK Kontakte von Herrn Grenke erwähnt.
Und wie sah letztendlich die tatsächliche Bürgerbeteiligung für die 4,4 ha große Aumattplanung aus? Den Bürgern wurde eine fertige Planung für ein Dienstleistungszentrum vor die Nase gesetzt. Die im Baurecht vorgeschriebene frühzeitige Bürgerbeteiligung wurde ausgehebelt. Den Anwohnern/-innen blieb eigentlich nur noch die Möglichkeit, Vorschläge für die Farbe des Fahrradständers machen. Den Bürgen zu unterstellen, überhaupt keine Bebauung zu wünschen, ist perfide und durch nichts belegt. Ist es bei diesem Verfahrensverlauf verwunderlich, dass Bürgerinnen und Bürger aktiv werden um ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen, wenn sie dermaßen von der Verwaltung und Profit-orientierten Investoren verdummbeutelt werden?
Zum Glück ist eine Umwandlung in ein Gewerbegebiet gescheitert. Aber was machen Verwaltung und Gemeinderat? Urplötzlich wird die Büroplanung im Campusstil urban genannt und als Satzung „Urbanes Gebiet Aumatt“ beschlossen. Es gab gewisse Versprechungen von Investoren von denen die Öffentlichkeit bis heute nichts erfahren hat.
Fakt ist, dass die Umsetzung des Bebauungsplans durch den partiellen Grundstücksverkauf und den Verbleib der Fa. Farben Frank nicht nur in weite Ferne gerückt, sondern auf Jahrzehnte unmöglich ist. Von der damaligen OB Frau Mergen wurde bestätigt, dass der frühere Investor die Grundstücke – vermutlich mit einem exorbitanten Gewinn – weiterverkauft hat. Die neuen Eigentümer, eine GmbH mit unbekanntem Geldgeber, möchte nun abweichend vom Städtebaulichen Vertrag den Fokus auf Wohnbebauung im gehobenen Preissegment lenken. Das bedeutet im Klartext schlicht Wohnraum «gut Betuchte». Dabei hat der Gesetzgeber die Kategorie «Urbanes Gebiet» mit dem Ziel eingeführt, dass sich Familien in Großstädten bezahlbaren Wohnraum leisten können damit ein lebendiges Stadtquartier entsteht, das Wohnen, Arbeit, soziale und kulturelle Angebote verknüpft.
Dem Gestaltungsbeirat wurde von Archis Architekten eine Überplanung vorgelegt die allerdings nicht gefallen hat. Der Gestaltungsbeirat hat ein «zurück auf Null» gefordert um ein städtebauliches Chaos zu verhindern.
Eigentlich hätte ich erwartet, dass Herr Grenke sich mit dem Thema Urbanität beschäftigt hat. Wenn nun Herr Grenke als Präsident der IHK Karlsruhe in seinem goodnews4Baden-Baden Interview vom 15.08 feststellt, dass für junge Menschen und Familien die Innenstadt und der Rand der Innenstadt nicht unbedingt der richtige Ort zum Wohnen ist, kann man sich nur ungläubig die Augen reiben. Dann hat er nichts verstanden von zukunftsweisender städtebaulicher Gestaltung, die sich nicht nur am maximalen Profit, sondern genauso an den Bedürfnissen der Bürger/innen speziell von jungen Familien orientiert. Diese Vision vonlebenswerten urbanen Stadtteilen ist ein moderner Gegenentwurf zu Herrn Grenkes leerstehenden Büroräumen, Banken ohne Publikumsverkehr etc.
Für den Bebauungsplan «Urbanes Gebiet Aumatt» wurde aber offensichtlich die Baurechtskategorie nur vorgeschoben um eine andernfalls unerreichbare Nutzung zu ermöglichen. Leider hat die Stadt eine große Chance vertan, bezahlbaren Wohnraum für Familien zu schaffen – von zukunftsweisender Urbanität keine Spur.
Gerold Lohmüller
Baden-Baden
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