Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ zum Leserbrief von Hannes Elster zur Standortdiskussion der Neuen Synagoge - „Das Böse triumphiert allein dadurch, dass gute Menschen nichts unternehmen“ (E. Burke)

Baden-Baden, 24.01.2018, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leser Rudolf Rust Stellung zu dem Leserbrief von goodnews4-Leser Hannes Elster Leserbrief «Meine Meinung» zur Neuen Synagoge − «Die Eigentümer des Badischen Tagblatts erwarben nach dem Krieg ein Grundstück, über dem wie sie wussten ein schreckliches Schicksal schwebte».

Herrn Elster ist zuzustimmen: Die Frage des richtigen Standortes für die jüdische Synagoge geht alle Einwohner Baden-Badens an. Es ist eine Frage der Re-Integration der Bürger jüdischen Glaubens in die Gesellschaft dieser Stadt und am 27. Januar ist nationaler und internationaler Gedenktag für die Opfer des Holocaust. Es ist der Tag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Ausschwitz.

Haben wir 2017 nicht gerade mit großem Pomp ein Luther-Jahr begangen? Auch Luther waren antisemitische Gedanken nicht fremd und seine Schriften wirken bis heute. In 2018 begehen wir den Geburtstag eines anderen deutschen Urgesteins: vor 200 Jahren wurde Karl Marx in Trier geboren. Er war Philosoph, Ökonom, Journalist, Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft, Begründer von Sozialismus und Kommunismus − und Jude. Andere Ur-Väter der deutschen Sozialdemokratie wie Lassalle und Bernstein waren auch Juden − und Protagonisten der Arbeiterbewegung.

Zum 85. Mal erinnern wir uns des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933. Damals sprach der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Otto Wels die oft zitierten Worte: «Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos.» Dieser Satz klingt gut. Er ist aber aus dem Zusammenhang einer Rede gerissen, die den Versailler Vertrag mit dem Ermächtigungsgesetz verglich. Die SPD stimmte aber somit der Politik der NSDAP zu.

Viele von uns kennen das Zitat des protestantischen Theologen Martin Niemöller, Mitglieds der Bekennenden Kirche, von 1937 bis 1945 von den Nazis in Dachau interniert. Nach dem Krieg fasste er seine Erlebnisse in einer Anekdote: «Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.»

Vermutlich war der 1. Weltkriegs-Offizier Niemöller ein Antisemit, da er bereits 1924 die NSDAP wählte. Auf jeden Fall waren ihm Menschen anderen Glaubens und deren Schicksal im 1000-jährigen Reich gleichgültig, solange «seine» Kirche nicht tangiert wurde.

Ist Edmund Burkes Wort «Das Böse triumphiert allein dadurch, dass gute Menschen nichts unternehmen» zutreffend? Kann man so auch das Verhalten der 30.000 christlichen Baden-Badener Bürger kennzeichnen, die weder vor, noch nach 1938 ihre Stimmen erhoben haben? Weder gegen die Zerstörung der Synagoge, noch gegen die Deportierung der jüdischen Mitbürger nach Dachau und dann später nach Gurs und in die Vernichtungslager? An der augenblicklichen Diskussion über den «rechten» Standort der neu zu errichtenden Synagoge ist irritierend, ja sogar schockierend, das Schweigen der Bürger in dieser Stadt, die alle nur mit sich selbst beschäftigt sind.

Man sieht es exemplarisch an der SPD-Fraktion im Baden-Badener Gemeinderat. Die Fraktion sollte sich glücklich schätzen, einen gebildeten Fraktionsvorsitzenden zu haben. Dr. phil. Kurt Hochstuhl ist Philosoph und Historiker wie Karl Marx, er ist Leiter des Staatsarchivs in Freiburg. Er hat schon viel über badische Geschichte geforscht und publiziert. Er sollte als Nachgeborener die jüdischen und christlichen Wurzeln seiner Partei kennen, zu Humanismus und Aufklärung als Teil ihrer Weltanschauung stehen. Warum schweigen er und seine Partei zu der aktuellen Diskussion? Will er, dass das Böse wieder triumphiert? Das kann doch wohl nicht sozialdemokratisches Selbstverständnis sein, oder? Will er, dass es später in Umkehr des Wels-Zitates heißt: «Wir waren nicht wehrlos, aber ehrlos?» Worin ist das Schweigen begründet? Am Mangel an Zivilcourage? Heute muss man doch (noch) nicht befürchten, abgeholt und in ein Konzentrationslager gebracht zu werden!

Von den «Christen» in Baden-Baden und ihrer parteipolitischen Organisationsform und den dort vertretenen Polizisten, Rechtsanwälten und Richtern kann man ohnehin keine Stellungnahme zu dem Problem «Synagoge» und Wiedergutmachung erwarten. Warum? Vielleicht wegen familiärer Beziehungen zu den eigenen Vätern und Müttern, die einst in der NSDAP, der SA und der SS waren? Weil diese nach 1933 oft für wohlfeile Mark die Grundstücke, Ölgemälde und das Tafelsilber der erst vertriebenen, später dann vernichteten Juden «ehrlich» erwarben? Insgesamt 6 Millionen sogenannte «Minderbelastete». Oder liegt es daran, dass die Beziehungen der kommunalpolitisch Verantwortlichen zu den heutigen Besitzern des früheren Synagogengrundstücks zu eng sind?

Im Übrigen jährt sich zum 40. Mal der Jahrestag, an dem Hans Filbinger (CDU), jener «furchtbare Jurist» (Rolf Hochhuth) als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurücktreten musste, weil ihn seine Vergangenheit als Marinerichter eingeholt hatte. Auf jeden Fall ist Baden-Baden nicht nur Geburtsort von Rudolf Höß, der es bis zum KZ-Lagerkommandanten von Ausschwitz brachte, sondern auch Rückzugsort des KZ-Arztes Aribert Heim, der bis 1962 in Baden-Baden unbehelligt als Frauenarzt praktizierte und dann unbehelligt verschwand.

Für mich, wie viele andere Bürger dieser Stadt ist klar, dass die neu zu errichtende Synagoge wieder an die Stelle gehört, an der sie bis zur Reichskristallnacht stand. Das ist das Grundstück, das seit mehr als 70 Jahren von der «angesehenen» Lokal-Zeitung als Parkplatz genutzt wird und dadurch den einst geweihten Boden zum zweiten Mal entehrt. Den mit dem Badischen Tagblatt verbundenen Verleger-Familien ist sicher bewusst, dass sie einst ein Grundstück vermutlich mit Hilfe des ehemaligen OB Schlapper 1950 für einen «Judas-Lohn» erwarben, das auf nicht rechtmäßigem Weg, nämlich durch Enteignung der jüdischen Gemeinde, in das Eigentum der Stadt Baden-Baden übergegangen war und danach an die Israelitische Religionsgemeinschaft Karlsruhe. Dieses Grundstück zu einem angemessenen Kaufpreis an die jüdische Gemeinde zurück zu geben, ist das Gebot der Stunde!

Bert Brecht schrieb vor ca. 80 Jahren über die «Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit». Dazu hat sich mittlerweile eine sechste gesellt − leider auch in der Presse. Die Wahrheit wird nicht direkt verschwiegen, aber man muss sie schon ahnen, um sie dann auch zu finden. Irgendwo auf dem Müllhaufen der sogenannten Zivilisation, zwischen Schützenfesten, Prominenten-Berichterstattung, Weinfesten und Sport.

Rudolf Rust
Baden-Baden


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Читательское письмо

Читательское письмо «Моё мнение» к письму Ханнеса Эльстера по поводу дискуссии о строительстве новой Синагоги в Баден-Бадене − «Зло побеждает тогда, когда хорошие люди ничего не предпринимают» (Э. Бурке)


Баден-Баден, 24.01.2018 Читательское письмо В письме в редакцию читатель goodnews4 Рудольф Руст выражает своё мнение по поводу письма читателя Ханнеса Эльстера «Моё мнение» к дискуссии о новой Синагоге − «владельцам Badischen Tagblatt, купившим после войны участок земли было известно об ужасных событиях, связанных с этим местом&rauqo;.

В поддержку мнения господина Эльстера: вопрос будущего места расположения Синагоги касается всех жителей Баден-Бадена. Это вопрос реинтеграции сограждан еврейского происхождения в общественную жизнь нашего города. 27 января отмечается национальный и интернациональный день памяти жертв Холокоста, в этот день были освовобождены узники лагеря смерти Освенцима.

2017 год с большой помпой отмечался как год Лютера. Лютеру, как и многим другим были не чужды антисемитские мысли и его работы оказывают влияние на умы до сегодняшнего дня. В 1918 году предстоит день рождения ещё одного известного соотечественника: 200 лет наза в Трире родился Карл Маркс. Он был философом, экономистом, журналистом, критиком общественной жизни, основателем социализма и коммунизма- и евреем.Другие отцы- основатели немецкой социал-демократии- такие как Лассаль и Бернштайн также были евреями и главными действующими лицами рабочего движения. 85 лет назад был принят Ermächtigungsgesetz от 24 марта 1933 года. Тогда представитель социал-демократов в Рейхстаге Отто Вельс произнес часто цитируемые слова: «Мы беззащитны, но беззащитность не означает отсутствие чести.&rauqo; Эти слова хорошо звучат. Но они выдернуты из контекста, где Версальский договор сравнивается с Ermächtigungsgesetzt, который дал Гитлеру практически неограниченную власть..Таким образом СПД соглашалась с политикой НСДАП. Многим из нас знакома цитата теолога- протестанта Мартина Нимёллера, бывшего членом «Bekennende Kirche» и просидевшего 8 лет ( с 1937 по 1945 ) в концентрационном лагере Дахау. После войны он описал свои переживания в анекдоте: «Когда нацисты пришли за коммунистами, я молчал- я ведь не был коммунистом. Когда пришли за социал-демократами, я молчал- ведь я не был социал-демократом. Когда пришли за профсоюзными деятелями, я молчал- ведь я не был деятелем профсоюза. Когда пришли за мной- не было больше никого, кто мог бы протестовать.»

Нимёллер, офицер 1-ой Мировой войны, был, предположительно, антисемитом. Уже на выборах 1924 года он голосовал за НСДАП. В любом случае, ему были безразличны и представители других вероисповеданий и их судьбы в 1000-летнем Рейхе. Самым главным для него было чтобы не трогали «его» церковь.

Верны ли слова Едмунда Бурке «зло побеждает тогда, когда хорошие люди ничего не предпринимают»? Можно ли таким образом описать и поведение 30 000 христиан- жителей Баден-Бадена, не поднявших голоса ни до, ни после 1938 года? Ни против разрушения Синагоги, ни против депортации сограждан-евреев в Дахау, а затем Гурс и другие лагеря уничтожения? В сегодняшней дискуссии о «правильном» месте для новой Синагоги особенно раздражает, если не сказать шокирует, молчание жителей города, занятых только самими собой.

Это наглядно видно на примере фракции СПД в городском совете. Фракция должна считать себя счастливой имея председателем такого образованного человека как доктор философии Курт Хохштул. Он философ и историк, как Карл Маркс, и руководитель государственного архива во Фрайбурге. Он долго изучал историю Бадена и опубликовал работы на эту тему. Ему должно быть известно о том, что его партия имеет еврейские и христианские корни, он должен стоять за гуманизм и просвещение как часть картины мира его партии. Почему же он и его партия не выражают своего мнения по отношению к нынешней дискуссии? Хочет ли он чтобы зло снова победило? Это ведь наверное не может быть самим собой разумеещимся для социал-демократии? Хочет ли он, чтобы позже можно было бы это выразить цитатой, обратной цитате Вельса: «Мы были не беззащитны, но бесчестны?» Чем обосновано это молчание? Недостатком гражданского мужества? Ведь сегодня можно (пока) не бояться быть отправленным в концентрационный лагерь!

В любом случае, от Баден-Баденских «христиан» с их партийно-политической организационной формой и представленными там полицейскими, адвокатами и судьями, нельзя ожидать ясной позиции по отношению к проблемам «Синагога» и «заглаживание вины». Почему? Может быть из-за семейных связей с собственными родителями, которые когда-то были членами НСДАП, СА и СС? Потому что они после 1933 часто за малые деньги «честно» приобретали участки земли, картины и столовое серебро, принадлежавшие изгнанным и уничтоженным евреям? Или причина в слишком тесных связях между местными ответственными политиками и нынешними владельцами земли, на которой стояла Синагога?

Между прочим, приближается сороковая годовщина дня, когда Ханс Фильбингер (ЦДУ) названный Рольфом Хоххутом «ужасным юристом», был вынужден уйти с поста министр-президента земли Баден-Вюртемберг потому что стало известно о его прошлом как флотского судьи. В любом случае, Баден-Баден является не только местом, где родился Рудольф Хёс, дослужившийся до комендата концентрационного лагеря Освенцим, но и местом, где беспрепятственно жил и работал женским врачом, а в 1962 году так же беспрепятственно исчезнувший, лагерный врач Ариберт Хайм.

Для меня, как и для многих жителей Баден-Бадена ясно, что новая Синагога должна стоять там, где она стояла до Хрустальной ночи. Этот участок земли, когда-то освящённый, уже больше 70-ти лет используется «уважаемой» местной газетой в качестве стоянки для машин и таким образом оскверняется во второй раз. Ведь семье издателей газеты не может быть неизвестно, что приобретение земли, предположительно с помощью тогдашнего бургомистра Шлаппера, за «30 сребренников», не могло быть законным, поскольку эта земля перешла во владение города, а позже- правления еврейских общин в Карлсруэ путём отчуждения у еврейской общины Баден-Бадена. И вернуть эту землю за разумную цену еврейской общине- святая обязанность!

80 лет назад Бертольд Брехт написал о «пяти трудностях при написании правды». Со временем к ним прибавилась шестая- к сожалению и в прессе- правда не умалчивается напрямую, но нужно о ней догадываться, чтобы найти её где-то на свалке так называемой цивилизации- между отчётами о праздниках, жизни известных людей, винных фестивалях и спорте.

Рудольф Руст
Баден-Баден