Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ – Zur Diskussion Klinikneubau – „Das Projekt ist weder professionell noch fair und transparent angelegt worden“

Baden-Baden, 15.08.2022, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leser Dr. Patrick Bruns Stellung zu dem goodnews4-Bericht Zur Klinik-Diskussion in Baden-Baden – Der Irrtum des Stadtrats Wolfgang Niedermeyer – Kommentar von Christian Frietsch.

Christian Frietsch ist zu widersprechen. Es geht beim Krankenhausprojekt nicht um Defizite in der Bürgerbeteiligung. Die Unterrichtungspflicht aus § 20 der baden-württembergischen Gemeindeordnung lässt da großen Spielraum. Gemeinden sind nicht einmal verpflichtet, ein Amtsblatt herauszugeben, in dem alles Wichtige steht. Der Unterrichtungsbegriff ist medienoffen und formungebunden. Er erfasst daher sämtliche auf Informationsübermittlung gerichtete Kommunikationsformen, soweit sie ggü. einer vergleichsweise großen Personenzahl wie die Einwohnerschaft einer Gemeinde dafür geeignet sind. Neben dem tradierten Amtsblatt dürfte heute die größte Bedeutung dem Internet zukommen, da inzwischen jede Gemeinde über einen entsprechenden Auftritt verfügt. Auch Informationsflyer, Einwohnerversammlungen (§ 20a GemO) oder Presseinterviews kommen dafür in Betracht.

Der Fehler, der bei der Planung des Klinikneubaus gemacht wurde und nun die Bestürzung vieler Baden-Badener Bürger hervorgerufen hat, liegt in der Vorbereitung. Das Projekt ist weder professionell noch fair und transparent angelegt worden. Insofern geht es nicht darum, dass die Spielregeln eingehalten werden, wie die SPD-Fraktion meint, sondern um die Spielregeln selbst. Sieht man sich aber an, wer in den Gremien sitzt, und macht man sich klar, nach welchen Kriterien die Standortwahl und wie die Gewichtung der Kriterien erfolgen soll, dann drängt sich die Frage auf, welche Rolle Baden-Baden bei der Entscheidungsfindung einnimmt und wie die Bewertungskriterien ausgesucht bzw. gewichtet wurden.

Warum machen die beiden Hauptkriterien Anbindung und Einzugsgebiet nur gerade einmal 40 Prozent aus und nicht, sagen wir einmal – das Doppelte? Warum sind die Baukosten ein Kriterium, obwohl sich gerade diese Kosten kaum einschätzen lassen? Und warum wurde kein Bestandsschutzkriterium für Baden-Baden aufgenommen, immerhin ist es ja ein Baden-Badener Krankenhaus und ein weithin sichtbares Identifikationsmerkmal dieser Stadt?

 

Der Vorwurf richtet sich nicht gegen die Stadträte, die ihre Arbeit ehrenamtlich machen und auf professionelle Vorlagen der Bürgermeister angewiesen sind. Bei Neuerungen sind sie tendenziell überfordert, sieht man sich nur an, wieviel Papier sie für den Haushalt wälzen müssen. Die Entscheidungen des Gemeinderats sind daher von den Bürgermeistern vorzubereiten, die wichtigsten Entscheidungen vom Oberbürgermeister. Der Vorwurf trifft in puncto Krankenhausneubau daher die bisherige Amtsinhaberin Mergen. Man kann nur von Glück reden, dass die Bevölkerung von dem Standort-Gutachten noch erfahren hat, bevor der Gemeinderat hier vollendete Tatsachen geschaffen hat. Wer für Geheimhaltung war, um Grundstücksspekulationen vorzubeugen, irrt, und da sind wir wieder bei der Gemeindeordnung. Die sieht nämlich in § 20 Abs. 1 tatsächlich eine Unterrichtungspflicht für wichtige Projekte vor. Bei besonders wichtigen Projekten muss die Unterrichtung sogar «;möglichst frühzeitig» erfolgen (Abs. 2 Satz 1). Soll die Unterrichtungspflicht Sinn machen, muss sie erfüllt werden, solange der Bürger noch Stellung nehmen kann und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wer hinsichtlich des Klinikneubraus also für Geheimhaltung war, hat entweder die Gemeindeordnung nicht gelesen oder aber er hält seine Umgebung zum Narren. Eine Grundstücksspekulation lässt sich auch leicht vermeiden. Niemand wird sagen, man hätte mit den Eigentümern nicht vorher darüber gesprochen und von dort grünes Licht erhalten. Dann spricht aber doch nichts dagegen, diese zu bewegen, einen notariellen Vorvertrag für die Grundstücksübertragung zu schließen.

Die Baden-Badener Verwaltung sollte sich darüber nicht beklagen, sondern jetzt den Ball ins Feld desjenigen legen, der die Aufgabe hat, Abstimmungsvorlagen zu erstellen, die professionellen Standards genügt. Zweifellos wird sich der Baden-Badener Oberbürgermeister dazu Sachverstand bedienen und das nicht selbst entwickeln. Der Auftrag dazu muss aber vom Gemeinderat kommen. Ansonsten droht der neue Oberbürgermeister in Ehrenrunden zu verharren und verliert zunehmend den Rückhalt in der Bevölkerung. Zweifellos wird diese Angelegenheit das Verhältnis zu Rastatt belasten, letztlich aber auch nicht mehr, als es auch in der Vergangenheit schon der Fall war, man nehme nur die unsägliche Diskussion um den Autobahnzubringer Rastatt-Süd. Baden-Badener Bürger sind das gewöhnt, wie die Tochter des früheren Baden-Badener Oberbürgermeisters Walter Carlein dies neulich in einem Interview auch schön gesagt hat. Wie das Votum des Rastatter Gemeinderats für einen Standort des neuen Krankenhauses in Rastatt belegt, nehmen die Politiker in Rastatt auf die Baden-Badener Verwicklungen auch nur wenig Rücksicht.

Die Wichtigkeit, Vorlagen für den Gemeinderat professionell, also unter Beachtung aller maßgebender Gesichtspunkte zu erstellen, kann nicht genug betont werden. Die Zukunft einer Stadt hängt maßgeblich von der Qualität dieser Zuarbeit ab. Wenn der Oberbürgermeister nur ein paar Gespräche führt und daraus seine Vorschläge ableitet, wachsen die strukturellen Probleme ins Unermessliche.

Nehmen wir einmal die aktuelle Gaskrise. Zwar haben die Stadtwerke durch ihre langfristige Einkaufspolitik dafür gesorgt, dass die Preise für Strom und Gas nicht sofort in die Höhe schnellen. Aber wie steht es um den grünen Wasserstoff als Treibstoff der Zukunft? Ist die Stadt, sind die Stadtwerke gerüstet? Laufen Planungen, um den ÖPNV auf grünen Wasserstoff umzustellen? Helmut Oehler, Leiter der Baden-Badener Stadtwerke, sagte neulich auf einer Veranstaltung, in der es um die Bewältigung der Gaskrise ging, er halte nichts davon. Es gebe keine serienreifen Busse mit Wasserstoffantrieb. Die Investitionskosten seien enorm, allein eine Tankstelle würde eine Mio. Euro kosten. Außerdem gebe es nirgends grünen Wasserstoff in genügender Menge. Das lässt nachdenken. Ist der Stadt bekannt, dass der Münchner FJS-Flughafen seit Jahren seinen ÖPNV mit grünem Wasserstoff betreibt, dass Rastatt eine Wasserstoff-Tankstelle hat, an der im Kartenbetrieb rund um die Uhr grüner Wasserstoff entnommen werden kann, und dass die Stadt Baden-Baden in ihrem eigenen Windpark grünen Wasserstoff aus überschüssigem Strom herstellen kann? Ist es jetzt nicht langsam Zeit, den ÖPNV auf grünen Wasserstoff umzustellen, nachdem vor nicht allzu langer Zeit noch ein neuer Diesel-Bus angeschafft wurde und die 47 Busse der Stadt einen großen Teil dazu beigetragen haben, dass Baden-Baden seinen Status als Luftkurort verloren hat? Natürlich gibt es Busse mit Wasserstoff-Antrieb, die man kaufen kann, nicht nur in China. So fährt die Deutsche-Bahn-Tochter Autokraft im Zuge des Wasserstoff-Pilotprojekts eFarm mit zwei Wasserstoffbussen des portugiesischen Herstellers Caetano. Die Niederflurbusse vom Typ «H2.City Gold» verkehren auf 50 Busverbindungen in Nordfriesland und tanken grünen Wasserstoff. Wasserstoff ist, was oft anders berichtet wird, nicht gefährlicher als etwa Benzin, jedenfalls weniger gefährlich als der konventionelle Elektroantrieb, wie die schlimmen Brände von Fahrzeugen mit Elektro-Antrieb zeigen. Auch der Umstand, dass eine Tankstelle 1 Mio. Euro kostet, macht mir nicht zu schaffen. Immerhin wirft so ein Betrieb Gewinn ab. Da es von diesen Tankstellen nicht viele gibt, haben sie ein großes Einzugsgebiet. Und es gibt Fördermöglichkeiten. So wird die Wasserstoff-Tankstelle in Rastatt durch die Europäische Kommission im trans-European Transport Network (TEN-T CEF) mit dem Projekt Connecting Hydrogen Refuelling Stations (COHRS) gefördert. Ich meine auch, dass sich für die Finanzierung einer solchen Tankstelle schnell private Förderer bzw. Teilhaber finden würden.

Wer sich für grünen Wasserstoff einsetzt, liegt jedenfalls richtig. So ineffizient er auch produziert wird, es ist der anerkannte Treibstoff der Zukunft. Elektromobilität wird vielfach als Übergangstechnologie bezeichnet. Die EU will den grünen Wasserstoff und unterstützt zahlreiche Projekte. Nicht nur ich frage mich, warum die EU dieses Anliegen allein mit industrieller Verwendung konnotiert. Soll die Elektromobilität nicht gefährdet werden? Warum wird das Engagement für grünen Wasserstoff derzeit landauf landab als verfrüht bezeichnet? Steht da vielleicht die Autoindustrie dahinter, die ihre Fahrzeuge mit einem attraktiven Personalschlüssel produzieren will? Was spricht dagegen, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen? Solche haben auch schon andere nicht unbedingt große Kommunen fertigen lassen. Ich kenne keine Gemeinde, die von den Ergebnissen nicht begeistert war. Natürlich leben wir aktuell in einer schweren Zeit. Wir Bürger sollen Energie sparen, weil die Bundespolitik die Folgen ihrer Sanktionspolitik ggü. Russland nicht gesehen hat oder – was sich immer mehr herausstellt – nicht hat sehen wollen. Wer an Energie denkt, könnte versucht sein, das Ganze zu verdrängen und in Lethargie zu verfallen. Aber eine Stadt darf dabei nicht stehenbleiben. Der neue Oberbürgermeister sollte einen Beauftragten benennen, der sich in bestem Sinne mit der Frage beschäftigt, ob und inwieweit die Baden-Badener Busse auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden sollten. Und wenn der Plan steht, macht auch der Gemeinderat mit.

Die Vorgehensweise, dass der Oberbürgermeister Beauftragte benennt, um sich schwierigen Themen zu nähern und zur Beschlussvorlage reifen zu lassen, ist ein grundsätzlich gutes Modell. Ich sehe da einige Themen, die so aufgearbeitet werden sollten, nicht nur den Krankenhausneubau, auch die Digitalisierung, die Synagoge, den Welterbe-/Rheintourismus, die Belebung der Innenstadt und anderes. Es gilt, die Stadt jetzt signifikant voranzubringen und das nachzuholen, was in den letzten Jahren liegengeblieben ist.

Dr. Patrick Bruns
Baden-Baden


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