Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ zur Integrität der Gesellschaft Baden-Badens - „Wer war Dr. med. Ottoheinz Ertl?“

Baden-Baden, 16.06.2018, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leserin Gertrud Meyer Stellung zu der in Teilen noch unaufgearbeiteten Vergangenheit Baden-Badens.

Wer kennt ihn persönlich und/oder seine Dissertation, die aus Erfahrungen der Universitätsklinik in Heidelberg berichtet, zusammengefasst in einem Heftchen der Buchdruckerei Richard Mayr, Würzburg, 1938 erschien? Diese Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Hohen Medizinischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, benotet (wie?) vom Dekan Professor Dr. Hans Runge, ist ein dünnes Heft von 10 Seiten, und enthält keinerlei neue Erkenntnisse, oder doch?

Auf Seite 4 werden «Minderwertigkeit» des Gesamtorganismus und konstitutionelle Minderwertigkeit von Frauen beschrieben − sind damit etwa minderwertige, weil nicht gebärfähige Frauen gemeint? Ist eine «Minderwertigkeit» etwa schon angeboren (s.a. S. 10)? Sollten dem «Führer» Adolf Hitler Kinder und Erwachsene mit schweren Missbildungen erspart bleiben? Endete derartige klinische «Forschung» nicht später in Eugenie? Widerspricht nicht schon die Wortwahl «Minderwertigkeit» dem von Ärzten geleisteten hippokratischen Eid? Die medizinische Fakultät der Universität Heidelberg muss damals einem Tollhaus geglichen haben − oder wie soll man solche Studieninhalte sonst interpretieren und bewerten?

Auf der letzten Seite seiner Dissertation gibt Ottoheinz Ertl seinen Lebenslauf an: «Ich wurde als Sohn des Apothekers August Ertl und seiner Ehefrau Georgine, geb. Blum, am 11.9.1911 in Erfurt geboren. Nach 3 Volksschuljahren besuchte ich das Realgymnasium in Heilbronn und später in Mannheim. Hier legte ich die Reifeprüfung ab und studierte daraufhin Medizin… kehrte wieder nach Heidelberg zurück und legte hier 1936 das Staatsexamen ab.» Soweit der kurze Lebenslauf.

Dem Philosophen Prof. Dr. Karl Jaspers erging es an der Heidelberger Universität wie folgt: «Seit 1933 war ich von der Mitwirkung an der Universitätsverwaltung ausgeschlossen, 1937 meiner Professur beraubt, seit 1938 durfte ich nichts mehr veröffentlichen.» Ganz anders erging es Ottoheinz Ertl und dessen Doktorvater, Prof. Dr. Hans Runge (1882 – 1964), auf den nun unser Blick fällt.

Dem Archiv der Universität Heidelberg ist Folgendes zu entnehmen: 1934 wurde Runge an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Ordinarius für Geburtshilfe und Gynäkologie berufen. Runge war Mitglied der NSDAP. 7 von 8 der planmäßigen Assistenten traten unter seiner Führung in die NSDAP, SA oder SS ein. An der Durchführung von Zwangssterilisationen und eugenischen Abtreibungen beteiligten sich ALLE Mitarbeiter. Runge veranlasste die wissenschaftliche Auswertung der Sterilisationen und setzte ein eugenisches Forschungsprogramm zur Geburtensteigerung durch, in das die Mehrzahl der Doktoranden eingebunden wurde (sic!).

Und was geschah nach 1945? Von 1954 bis 1956 war Runge Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und wurde später zum Ehrenpräsidenten ernannt. Bis 1964 leitete er die Heidelberger Klinik und starb im gleichen Jahr an den Folgen eines Autounfalls. Beisetzung erfolgte in der Professorenreihe des Heidelberger Bergfriedhofs.

Das war also Umgebung und Umgang von Ottoheinz Ertl. Ein Jahr nach seiner Dissertation begann der 2. Weltkrieg. War er während dieser Zeit als Stabsarzt tätig? Vielleicht bei der Marine? Jedenfalls findet sich sein Name im Adressbuch der Stadt Lübeck. Danach geht alles im Chaos des Krieges unter, bis ein Otto Heinz Ertl, geb. am 11.9.1911 als amerikanischer Kriegsgefangener in Fort Hunt genannt wird. Nun, seine Familie wird es wohl wissen, oder?

1950/51 gibt das von Werner Hambruch, Geschäftsführender Gesellschafter des Verlags Ernst Koelblin, Hofdruckerei in Baden-Baden erschienene Baden-Badener Adressbuch, Auskunft über einen Medizinalrat Ottoheinz Ertl, wohnhaft in der Ebersteinstr. 28.

Was soll man zu solch einer «Karriere», sicher mit Persilschein einer Spruchkammer als «Mitläufer» eingestuft, sagen? Wie kann seine Familie damit umgehen? Das Schweigen der (Unschulds-)Lämmer? Ist die Stadt Baden-Baden etwa ein Sumpf, in dem sich alles verstecken lässt? Gibt es etwa bei der Familie noch mehr «Leichen» im Keller?

Man wird doch noch fragen dürfen, oder?

Gertrud Meyer
Baden-Baden


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