Aus dem Festspielhaus Baden-Baden

Was stammt originär von Mozart? - Im Festspielhaus Baden-Baden: Teodor Currentzis dirigiert Requiem

Was stammt originär von Mozart? - Im Festspielhaus Baden-Baden: Teodor Currentzis dirigiert Requiem
Chefdirigent Currentzis ist seit 2018 Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters und tritt in dieser Saison mit beiden Klangkörpern sechs Mal im Festspielhaus auf. Foto: Anton Zavjyalov

Baden-Baden, 30.10.2019, Bericht: Festspielhaus Die Mozart-Interpretationen des griechisch-russischen Dirigenten besitzen Kult-Status. Teodor Currentzis hat Mozarts Musik als etwas Ungeheures, Fremdes wiederentdeckt.

Seine Lesart des Requiems zeigt er mit ausgewählten Solisten, musicAeterna und musicAeterna byzantina am Sonntag, 3. November 2019, um 17 Uhr im Festspielhaus.

Es sind Details, an denen sich Currentzis‘ Klangsinn entzündet: etwa die Bassetthörner, mit denen das Requiem beginnt, und die eine fahle Totenblässe zum Klingen bringen. Diese Färbung war bereits zur Uraufführungszeiten ausgesprochen ungewöhnlich. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Was stammt originär von Mozart? Diese Frage kreist seit dem neunzehnten Jahrhundert um Mozarts Requiem. Sie bezieht sich auf die Tatsache, dass das Werk nur in Teilen überliefert und schließlich, nach dem vorzeitigen Tod Mozarts, von Joseph Eybler und Franz Xaver Süßmayr, einem Schüler Mozarts, vollendet wurde, was auch Neukompositionen Süßmayrs miteinschloss. Seitdem ist das Requiem in immer wieder neuen Bearbeitungen und Ergänzungen erschienen.

Der Dirigent Teodor Currentzis hält sich hauptsächlich an die «klassische» Süßmayr-Fassung. Die Frage nach der Autorenschaft stellt sich aber auch schon früher: bereits an der von Mozart überlieferten Musik ist augenscheinlich, dass selbst diese Komposition nicht immer «von Mozart» ist – dass also schon Mozart selbst mit Zitaten arbeitete. Als würde der Komponist angesichts des Todes ein Band mit der Musik der Vergangenheit knüpfen und so auf eine Zeitlosigkeit hinzielen. Für das Rokoko ein fortschrittlicher Ansatz. In der weltlichen Kultur des Hofes, dachte man radikal zeitgenössisch; ein Werk des Vorjahres galt bereits als hoffnungslos veraltet. Demgegenüber komponiert nun Mozart bewusst «altmodisch», verarbeitet z.B. bereits im ersten Requiem-Chor eine gregorianische Phrase aus dem Mittelalter, die so vor ihm bereits Bach in seinem «Magnificat» zitierte. Und der Beginn des Werks geht bewusst auf zwei damals bekannte geistliche Werke zurück, Pergolesis «Stabat Mater» und Händels Chor «The ways of Zion do mourn» aus dem «Funeral Anthem for Queen Caroline». Mozarts berühmte Kyrie-Fuge paraphrasiert eine Fuge aus Handels «Messiah» – die Frage «Was stammt hier von Mozart?» stellt sich immer dringender. Die Antwort muss auf die unübertroffene Qualität von Mozarts überlieferter Requiem-Musik verweisen, aber auch noch auf etwas Anderes: auf den Klang. Der Klang der Requiem-Musik ist neu und anders. Mögen die Noten am Werkanfang noch an Händel und Pergolesi erinnern, so ist die Instrumentation wahrhaft unerhört. Je zwei Bassetthörner und Fagotte, dazu getupfte Streicher: Der als vielleicht «fahl» und «einsam» zu bezeichnende Klang – man geht nicht fehl – an den existenziellen Grenzzustand im Angesicht des Todes zu denken, war damals undenkbar. Solche Klangexperimente, Klangreduktionen, erinnern an die zeitlich benachbarte «Zauberflöte» und sind das radikal Persönliche an dieser Partitur. Hier bedarf es einen Dirigenten mit ausgeprägter Mozart-Kenntnis, sowie einem untrüglichen Gespür für Klangfarben. All das findet sich in Teodor Currentzis – und zwar auf unübertroffene Weise.

Nur noch wenige Karten sind im Vorverkauf erhältlich. An der Abendkasse wird es ab zwei Stunden vor Veranstaltungsbeginn Stehplatzkarten zum Preis von 15 Euro, Barzahlung, geben.

Der zweite Teil der Künstler-Residenz des Dirigenten Teodor Currentzis beginnt am 28. Mai 2020 zu den Baden-Badener Pfingstfestspielen. Dann wird der Dirigent auch zusammen mit bildenden Künstlern neue Aufführungsformen für klassische Musik probieren, auf dem Programm stehen das Fauré-Requiem, 28. Mai, die «Leningrader Sinfonie» von Dimitri Schostakowitsch, 30. Mai, und das Verdi-Requiem, 31. Mai.

Zu den Künstlern

Der 1972 in Athen geborene Teodor Currentzis zog Anfang der 1990er-Jahre in seine jetzige Heimat Russland, wo er in St. Petersburg am Konservatorium bei Professor Ilya Musin, dem legendären Pädagogen, aus dessen Dirigentenklasse auch Semyon Bychkov und Valery Gergiev hervorgegangen sind, studierte. Seine erste Chefposition führte Currentzis 2004 an die Staatsoper Nowosibirsk, die er als Generalmusikdirektor sechs Jahre lang leitete. Von 2011 bis zum Sommer 2019 amtierte er als Musikdirektor an der Oper in Perm. Als Operndirigent war Currentzis am Moskauer Bolschoi-Theater, an der Bayerischen Staatsoper, am Zürcher Opernhaus, am Teatro Real in Madrid und beim Festival d’Aix-en-Provence zu Gast. 2017 debütierte er bei den Salzburger Festspielen mit Mozarts «La clemenza di Tito». Diese Zusammenarbeit mit Peter Sellars sorgte weltweit für Aufsehen. 2018 dirigierte Currentzis ebenda alle neun Beethoven-Sinfonien und diesen Sommer folgte «Idomeneo», ebenfalls von Peter Sellars inszeniert. Seit Beginn der Saison 2018/19 ist Currentzis auch Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters. In der laufenden Saison tritt er mit beiden Klangkörpern in insgesamt sechs Konzerten im Festspielhaus Baden-Baden auf. Sein Debüt im Festspielhaus gab er 2011 als Dirigent einer Neuinszenierung von Mozarts «Le nozze di Figaro». Der Dirigent hat siebenmal den russischen Theaterpreis «Goldene Maske» gewonnen, 2008 wurde er mit dem russischen Freundschaftsorden geehrt und 2016 wählten ihn die Kritiker des Fachmagazins «Opernwelt» zum Dirigenten des Jahres.

Die französische Sopranistin Sandrine Piau hat sich vor allem als Barockinterpretin international einen Namen gemacht, in der Zusammenarbeit mit Dirigenten wie William Christie, Philippe Herreweghe, Marc Minkowski und Nikolaus Harnoncourt. Engagements führten sie in die New Yorker Carnegie Hall, in den Wiener Musikverein, in den Concertgebouw Amsterdam, in die Londoner Wigmore Hall und in die Theater von Bologna und Florenz. Bedeutende Orchester wie die Berliner Philharmoniker, das Orchestre de Paris und Boston Symphony haben mit ihr zusammengearbeitet. In Opern gastierte sie bei den Salzburger Festspielen, beim Festival in Aix-en-Provence, an der Opéra und am Théâtre des Champs-Élysées in Paris, am Monnaie-Theater Brüssel und an der Nederlandse Opera Amsterdam. Seit 2006 ist Sandrine Piau Ritter des französischen Ordens der Künste und der Literatur.

Die irische Sängerin Paula Murrily sang im Sommer bei den Salzburger Festspielen unter der Leitung von Teodor Currentzis in Peter Sellars’ Inszenierung von Mozarts «Idomeneo». 2017 debütierte sie an der Metropolitan Opera New York. An der Nederlandse Opera sang sie Octavian in «Der Rosenkavalier» von Strauss und Sesto in Mozarts «La clemenza di Tito» und sie gastierte in Madrid und Zürich. Von 2009 bis 2017 war sie fest an der Oper Frankfurt engagiert. Zu ihren zahlreichen Rollen dort zählen die Titelpartien der «Carmen», Antonio Cestis «L’Orontea» und Dido in Purcells «Dido and Aeneas». In Aufführungen mit musicAeterna sang sie u.a. Mahlers «Wunderhorn»- Lieder und die «Kindertotenlieder». Die auf der Opernbühne, dem Konzertpodium und im Liederabend gefragt Solistin studierte in Dublin und am New England Conservatory in Boston.

Nach seinem Debüt als David in den «Meistersingern» bei den Salzburger Osterfestspielen 2019 unter der Leitung von Christian Thielemann wird Sebastian Kohlhepp dieselbe Rolle 2020 an der Semperoper Dresden singen. Bisher hat sich der Tenor vor allem als Mozart- Interpret einen Namen gemacht. Unter der Leitung von René Jacobs sang er Tamino am Theater an der Wien, am Theater Basel und an der Volksoper Wien, debütierte in «Die Entführung aus dem Serail» bei der Salzburger Mozartwoche, in «Don Giovanni» an der Oper Köln und als Ferrando in «Cosi fan tutte» an der Nederlandse Opera Amsterdam. Der in Limburg an der Lahn geborene Sänger studierte in Frankfurt am Main, ein erstes Festengagement am Badischen Staatstheater Karlsruhe folgte. Zur Saison 2013/14 wechselte er ins Ensemble der Wiener Staatsoper. Dort zählten Froh in Wagners «Das Rheingold» und Jaquino in Beethovens «Fidelio» zu seinen Rollen. Von 2015 bis 2017 war er Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart. Im Sommer 2018 debütierte Sebastian Kohlhepp in Beethovens neunter Sinfonie unter Teodor Currentzis bei den Salzburger Festspielen.

Der in Dubna im Oblast Moskau geborene Bass Evgeny Stavinsky stammt aus einer Musikerfamilie. Er graduierte 2003 als Sänger und Chorleiter von der Moskauer Chorakademie. Die folgenden beiden Jahre verbrachte er in Florenz, wo er mehrere Partien beim Maggio Musicale sang, darunter die Titelrolle in Mozarts «Don Giovanni». 2007 wurde er ins Ensemble des Kolobov Novaya Operntheaters in Moskau engagiert. Dort sang er unter anderem in Mussorgskys «Boris Godunov», den Méphistophélès in Gounods «Faust» sowie König Marke in «Tristan und Isolde» von Wagner.

Das Ensemble musicAeterna, das sich aus einem Orchester und einem Chor zusammensetzt, wurde 2004 von Teodor Currentzis in Nowosibirsk gegründet. Von 2011 bis zum Sommer 2019 waren sie am Opernhaus in Perm ansässig. Im September verlegte musicAeterna seinen Sitz nach St. Petersburg und verfolgt seitdem seinen Weg als unabhängiges, privat finanziertes Ensemble.

Das Ensemble ist unter der musikalischen Leitung von Teodor Currentzis in den großen europäischen Konzertsälen zu hören, u. a. am Wiener Konzerthaus, im Amsterdamer Concertgebouw und in der Berliner Philharmonie. 2018 gab er mit musicAeterna sein Debüt bei den BBC Proms, im Frühjahr 2019 war er mit dem Ensemble zum ersten Mal in Japan zu Gast. Neben den Salzburger Festspielen war das Ensemble beim Festival in Aix-en-Provence, bei der Ruhrtriennale und bei dem von Teodor Currentzis geleiteten Diaghilev-Festival in Perm geladen. Das Repertoire von musicAeterna umfasst westeuropäische und russische Werke des Barock, russische Vokalmusik seit dem 18. Jahrhundert und zeitgenössische Uraufführungen. Zahlreiche Einspielungen entstanden in den letzten Jahren, darunter der vielbeachtete Mozart-Da Ponte-Zyklus. Für diese und andere CDs erhielten das Ensemble und Currentzis den «Preis der deutschen Schallplattenkritik», den «Echo Klassik» und den «Diapason d’or».

2018 gründete Teodor Currentzis den Chor musicAeterna byzantina, um die byzantinische musikalische Tradition einschließlich ihres Kirchenliedguts einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Chorleitung hat Antonius Koutoupis, der am Rimsky-Korsakow Konservatorium in St. Petersburg studierte und Ehrenkantor der griechisch-orthodoxen Sankt-Georgs-Kathedrale von Venedig ist. Die sechzehn Mitglieder des Chores sind Absolventen der besten Konservatorien für byzantinische Musik in Griechenland. Jeder von ihnen ist mit dieser Musik von Kindheit an vertraut. Neben klassischer Stimmbildung widmet sich der Chor den Traditionen der griechisch-orthodoxen Sakralmusik. Die einzigartige Melodieführung der byzantinischen Kirchenlieder erfordert ein intensives Arbeiten an Phrasierung, Ausdruck und präziser Einstimmigkeit. Sie werden das Konzert am 3. November mit sakrale byzantinische Gesängen umrahmen.

Weitere Informationen und Tickets: www.festspielhaus.de

Persönliche Beratung und Reservierungen: Tel. 07221 / 30 13 101


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