Leserbrief

Leserbrief „Meine Meinung“ – „OB Margret Mergen mit dem Gedenken an die Holocaust Opfer“ – „Ich fordere ab dem nächsten Jahr eine jährliche offizielle Gedenkstunde im Baden-Badener Gemeinderat“

Baden-Baden, 09.02.2022, Leserbrief In einem Leserbrief an die Redaktion nimmt goodnews4-Leserin Tina Tischer Stellung zu dem goodnews4-Bericht Baden-Baden gedenkt der Opfer des Holocaust, findet aber keinen Bauplatz für eine neue Synagoge − «Rabbiner Surovtsev und OB gedenken».

Zu OB Margret Mergen im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Holocaust Opfer, Antisemitismus und die Verhinderung des Baus der jüdischen Synagoge ist hier und in Leserbriefen schon viel geschrieben worden. Es soll heute auch nicht mein Thema sein. Dass OB Mergen aber in diesem Zusammenhang auch das Wort «Homosexuelle» und «Opfer des Rassenwahns» in den Mund genommen hat, mutet für mich heuchlerisch an. Mein persönlicher Eindruck in der Vergangenheit war, dass sie eher die Vertreterin eines bigotten & reaktionären Gesellschaftsbildes in Bezug auf die Queer-Community ist. Ob dies nun die Einsicht einer Spätberufenen ist oder einfach nur Ihrem Wahlkampf geschuldet? Man weiß es nicht. OB Mergen möchte ich aber an dieser Stelle nicht mehr Aufmerksamkeit beimessen als Sie es verdient hat.

Allerdings erlaube ich mir an dieser Stelle den beiden anderen amtierenden Bürgermeistern und allen als Volksvertreter von den Bürgern Baden-Badens gewählten Stadträten fraktionsübergreifend folgendes in Ihr Stammbuch zu schreiben:

Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus zeigt, was geschehen kann, wenn Hass und Hetze eine Gesellschaft vergiften.

Um Freiheit, Gleichheit und Respekt muss täglich neu gerungen werden.

 

Der 27. Januar wird jährlich als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus und als Holocaust-Gedenktag begangen. Anlass ist der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Ich selbst und viele andere Mitglieder der queeren Community gedenken der Millionen von Opfern des Nationalsozialismus. Ihr Leben wurde aufgrund von demagogischen Beschwörungen von «Volksfeinden» und «Volksverrätern» rücksichtslos vernichtet. Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus führt uns vor Augen, was geschehen kann, wenn Hass und Hetze eine Gesellschaft vergiften, wenn eine Mehrheit gleichgültig wird gegenüber dem Leben Anderer, wenn sie Ausgrenzung und Entrechtung zulässt und unterstützt. Menschenfeindliche Ideologien wie Nationalismus, Rassismus, Sexismus, Homophobie und Transfeindlichkeit sind stark miteinander verwoben. Denn sie leugnen, dass alle Menschen mit gleicher Würde und gleichen Rechten ausgestattet sind. Auch heute sind Hass und Hetze weiter auf widerlichste Weise präsent. Das zeigt uns: Um Freiheit, Gleichheit und Respekt muss täglich neu gerungen werden.

Umso wichtiger ist es, dass die demokratische Erinnerungskultur an die NS-Verbrechen und an deren Opfer gepflegt und kontinuierlich mit Leben gefüllt wird und insbesondere auch heute die noch bestehenden Lücken angegangen werden. So blieben die queeren Opfer des Nationalsozialismus über Jahrzehnte aus der Gedenkkultur ausgeschlossen. Ich und viele Freunde und Weggefährten setzen uns seit langem dafür ein, dass eine der jährlichen Gedenkstunden des Bundestages an die Opfer des Nationalsozialismus auch den Menschen gewidmet wird, die während der NS-Herrschaft wegen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität verfolgt, inhaftiert und ermordet wurden. Wir sind zuversichtlich, dass dies in der neuen Wahlperiode endlich möglich wird.

In Deutschland entstand Ende des 19. Jahrhunderts die erste organisierte homosexuelle Bürgerrechtsbewegung der Welt, die auch hinsichtlich Trans- und Intergeschlechtlichkeit Pionierarbeit leistete. Auch entwickelte sich in den 1920er-Jahren eine blühende urbane Lesbenkultur, die in Europa einmalig war. Der Zivilisationsbruch ab 1933 konnte krasser nicht sein. Im nationalsozialistischen Deutschland fand eine Homosexuellenverfolgung ohne gleichen in der Geschichte statt, die zudem lange nachwirkte. LSBTI blieben auch nach 1945 gesellschaftlich geächtet. Nach dem Ende der NS-Diktatur dauerte es viele Jahrzehnte, bis sie als Grundrechtsträger wahrgenommen und anerkannt wurden.

Ich fordere in diesem Zusammenhang ab dem nächsten Jahr hierzu auch eine jährliche offizielle Gedenkstunde im Baden-Badener Gemeinderat. Ich empfehle jedem Bürger, in der Zukunft genau hinzusehen, welcher Stadtrat sich namentlich hinter diese Forderung stellen wird und welcher nicht.

Mit Freude und Respekt

Tina Tischer
Aktives Mitglied LSVD
Baden-Baden


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