Kommentar von Christian Frietsch

Das Lied von einer gespaltenen Gesellschaft ist keine Empfehlung für Weihnachten – Ein Kommentar von Christian Frietsch

Das Lied von einer gespaltenen Gesellschaft ist keine Empfehlung für Weihnachten – Ein Kommentar von Christian Frietsch
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Bild Christian Frietsch Kommentar von Christian Frietsch
25.12.2021, 21:50 Uhr
Baden-Baden


Liebe Leserinnen und Leser,

regelmäßig erreicht uns der Rat, dass wir doch mehr «gute Nachrichten» veröffentlichen sollten. Man kann dieses Ansinnen verstehen. Nutzen wir also das Weihnachtsfest, um über einen Gesinnungswandel nachzudenken.

Untersucht man die Herkunft dieser Aufforderungen fällt auf, dass es sich dabei meist um einflussreichere Bürger aus Politik und Gesellschaft handelt. Menschen, denen es materiell eher gut geht. Dazu gehören in der Regel auch wir Journalisten. Gibt es zu viele schlechte Nachrichten über das kleine Elend in unserer Stadt und das große Elend im Rest der Welt, ist der soziale Frieden gefährdet. Wer will das schon.

In den späten achtziger Jahren führt ein Experiment des Hörfunksenders Radio Radicale in Rom zu einem erstaunlichen Ergebnis. Die totale Freiheit des Wortes sollte das Sendeformat bestimmen und die Verantwortlichen entschieden sich, jedem Hörer täglich eine Sendeminute anzubieten, in der er erzählen durfte, was er wollte. Die Anrufe wurden aufgezeichnet und jeweils 60 Sekunden gesendet. Den ganzen Tag, 24 Stunden lang. Nach einer anfänglichen breiten Themenvielfalt, nahm aber nach einer gewissen Zeit der Anteil von Beschimpfungen und Entgleisungen der einminütigen Beiträge derart überhand, dass der Sender das Experiment einstellen musste. Niemand kam auf den Gedanken, von einer Spaltung der Gesellschaft zu sprechen.

Stammtische und artverwandte Milieus dienen schon seit jeher als Ventil und Zuhause von Enthemmungen und Entgleisungen. Dieses Phänomen in sozialen Netzwerken gab es schon immer, seit es Menschen gibt. Sichtbar werden seit einigen Jahren die Stammtischphrasen in den digitalen Netzwerken, die nur einen kleinen Teil der sozialen Netzwerke ausmachen. Nur 20 Prozent der Deutschen nutzen wenigstens einmal die Woche Facebook. Nur fünf Prozent Twitter. Das haben ARD und ZDF in einer in Auftrag gegebenen Untersuchung herausfinden lassen. Doch die Ergebnisse haben ausgerechnet Journalisten und Politiker nicht verinnerlicht.

Von Spaltung einer Gesellschaft kann nicht die Rede sein. Es sei denn, dass jede große gesellschaftliche Meinungsverschiedenheit und die damit einhergehende Quote an verbalen Entgleisungen und Gewalttätigkeiten diesen Begriff rechtfertigt. In den dreißiger und vierziger Jahren? Gespalteten Gesellschaft? Hoffentlich, würde man in diesem Fall vor der Antwort sagen. Und in den fünfziger, sechziger Jahren, den achtziger Jahren? Die Studentenrevolte, die Bürgerbewegung. Eine Spaltung der Gesellschaft? Und überhaupt: Hier die Armen und dort die Reichen. Hier die Erfolgreichen und dort die Erfolglosen. Hier die Gutaussehenden und dort die Mauerblümchen. Eine Spaltung der Gesellschaft? Und die Überzeugungen der 30 Prozent Nichtgeimpften? Darunter besorgte Mütter und Väter, Banausen, Kreuz- und Querdenker und politische Profiteure, Nachdenkliche und Mitläufer. Eine Spaltung der Gesellschaft? Die 70 Prozent der Geimpften setzt sich mutmaßlich aus einer ähnlichen Schnittmenge an Typologien zusammen.

Ein Rudeljournalismus mit dem gemeinsamen Lied von einer Spaltung der Gesellschaft ist keine Empfehlung für Weihnachten.

Und die doch noch gute Nachricht für ein vielleicht nicht übertrieben fröhliches, aber besinnliches Weihnachtsfest ist, dass es mehr Verbindendes gibt als Trennendes. Man kann das überprüfen bei seinen Nächsten und wenn man wirklich möchte, kommt man zu einem guten Resultat.

Herzliche Grüße

Christian Frietsch




Christian Frietsch ist Herausgeber von goodnews4.de. Über Post freut er sich auch unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!


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