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Teil 5 Leseprobe zum Roman „Neue Welt“ von Roland Weis – „Die Geldbörse lag mitten auf dem Weg“

Teil 5 Leseprobe zum Roman „Neue Welt“ von Roland Weis – „Die Geldbörse lag mitten auf dem Weg“
Roland Weis, Autor des Romans „Die neue Welt“.

Baden-Baden, 17.12.2022, Bericht: Redaktion In der Baden-Badener Buchhandlung Straß stellte der Historiker Roland Weis seinen Roman «Die neue Welt» im goodnews4-Interview vor.

«Eroberung, Reviere dazugewinnen, Nachbarn bekämpfen, möglichst viel eigenes Territorium erobern – das zieht sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte», antwortete er zur Aktualität seines spannenden Romans, in dem ein Junge, der 1492 an der Entdeckung Amerikas durch Christopher Columbus und dann 50 Jahre lang an spanischen Eroberungszügen teilnimmt, die Hauptrolle spielt. Nun veröffentlicht goodnews4-Interview eine Serie mit Leseproben, die der Autor selbst aussuchte.

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Historiker Roland Weis zu seinem neuen Roman „Die neue Welt“ – „Nachbarn bekämpfen, möglichst viel Territorium erobern“ – „Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte“

Zu dieser fünften Leseprobe schreibt der Autor Roland Weis: «Während Rodrigo als Schiffsjunge an der Entdeckungsfahrt von Christobal Colón teilnimmt, bleiben seine drei Geschwister im Elendsviertel von Palos zurück. Der Jüngste ist der erst Siebenjährige Pedro, der sich einer Kinderbande angeschlossen hat. Der reiche Kaufmann Capezudo, ein Finanzier der Entdeckungsfahrten, macht unliebsame Bekanntschaft mit dieser Bettlerbande.»

 

Teil 5 Leseprobe «Die neue Welt» von Roland Weis:

Kaufmann Juan Rodriguez Cabezudo drehte sich, als sie die ersten Hütten passierten, zu seinem Hintermann um: «Das war keine gute Idee, Fray Martin, diese Abkürzung zu nehmen. Seht, was uns da vorne erwartet.» Er deutete auf eine Gruppe zerlumpter Kinder, die sich wie Wegelagerer den Reitern entgegenstürzten. Das Rudel umkreiste schreiend die Männer und ihre Tiere. Die Packpferde trippelten angesichts des Lärms unruhig auf der Stelle. Cabezudo nahm die Leinen kurz, damit die Pferde nicht ausreißen konnten. «Maravedis, Maravedis! Brot! Hunger! Habt Erbarmen, Herr! Eine Gabe, nur eine kleine Gabe!»

«Haut ab! Verschwindet! Lasst uns in Ruhe!», versuchte Cabezudo die Brut zu verscheuchen. Doch das gute Dutzend Bettelkinder, nicht zu unterscheiden, ob Mädchen oder Jungen, ließ sich nicht abschütteln. Die Horde wurde immer zudringlicher. Ein kleiner Junge, dürr und höchstens sechs oder sieben Jahre alt, machte sich an Cabezudos rechtem Bein zu schaffen. Ärgerlich versuchte dieser den lästigen Balg wegtreten. Da sein Fuß im Steigbügel steckte, ging das nicht. Er nestelte nach der Reitgerte, die er längs am Sattel verstaut hatte. Diesem stinkenden Parasiten würde er es zeigen. Das Gesicht des kleinen Jungen, der sich immer noch an ihm festhielt, klagte ihn an. Augen so groß wie reife Pflaumen, ein Blick, so elend und verzweifelt wie ein dem Tode Geweihter, eitrige Schrunden am Mund, eine Rotznase, verfilztes, schulterlanges Haar voller Ungeziefer, nur Lumpen am ausgemergelten Körper, die kleinen, dürren Händchen krampfhaft an Cabezudos Stiefel gekrallt, als wäre der Kaufmann seine letzte Rettung. So hetzte und stolperte der Betteljunge an Cabezudos Seite, auch als dieser seinem Pferd mit der Gerte eine schnellere Gangart verordnete. Der Junge ließ nicht los. Cabezudo ließ den Stock Richtung Rücken des Jungen pfeifen. Erst warnend, dann mit Kraft, schließlich wütend, ein-, zwei-, dreimal! «Nur einen Maravedi, nur ein Stück Brot, bitte Herr!», jammerte der zähe Bursche, der sich nicht abschütteln ließ.

Cabezudos Pferd wechselte in einen scharfen Trab, das Packpferd hüpfte in bockigen Sprüngen hinterher. Fray Martin folgte unwillig mit den anderen Pferden und mühte sich dabei, die Bettelkinder loszuwerden, die ihm wie ein Fliegenschwarm folgten. «Wir haben nichts. Ich bin selbst ein Bettler. Ich habe gar nichts. Geht, verschwindet! Hier gibt es nichts.»

Die meisten Kinder ließen von ihm ab. Da gab es wohl in der Tat nichts zu holen.

Einige Pferdelängen voraus, jenseits der letzten Hütten, verlor Cabezudo die Geduld. Er ließ nun einen Hagel von wütenden Schlägen auf den Jungen los, jetzt ohne Rücksicht, ob er auf Rücken, Schultern, Arme oder den Kopf traf. «Nur einen Maravedi, Herr, nur einen ...»

In seiner Verzweiflung, und im Bemühen, den Halt nicht zu verlieren, krallte sich die hartnäckige Klette an den ledernen Sattelgurt, an Cabezudos Beinkleid und an seinen Hosengürtel. Dabei erwischte er den Riemen, der Cabezudos Geldbörse am Gürtel festhielt. Der Riemen riss, die Börse segelte mit den Fetzen des Lederriemens davon, und der Junge, seines Halts beraubt, landete im Straßengraben. Bis Cabezudo reagiert und die Pferde zum Halten gebracht hatte, befand er sich schon ein gutes Stück voraus. Zwischen ihm und dem nur im Schritttempo näherkommenden Fray Martin krabbelte der Bettlerjunge im Straßenstaub. Die Geldbörse lag mitten auf dem Weg.

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