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Kritik an Wohnbaupolitik

Wohnraum-Misere in Baden-Baden - Stadtrat Martin Ernst sieht Schuld bei OB Mergen - "600.000 Euro für ein kleines Reihenhaus, ist das bezahlbarer Wohnraum?"

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goodnews4-VIDEO-Interview von Nadja Milke mit Martin Ernst

Baden-Baden, 23.05.2018, 00:00 Uhr, Bericht: Christian Frietsch Große Entscheidungen in Baden-Baden verlaufen meist ohne erkennbare Aufregungen. Auch wenn es die Zukunft der Stadt aller Voraussicht nach essentiell verändert. Dies gilt auch für das größte Wohnbauprojekt in der Geschichte der Baden-Badener Innenstadt. 383 Wohneinheiten sollen auf dem vom SWR teuer verkauften 50.000 Quadradradmeter großen Grundstück zwischen Hans-Bredow-Straße und Fremersbergstraße entstehen.

Ein dramatischer Eingriff in den Immobilienmarkt der Stadt Baden-Baden. An der Wohnungsnot in der Innenstadt wird sich nichts ändern, denn der offenbar hohe Preis für das ehemals öffentlich-rechtliche Grundstück, lässt dem Investor wenig Spielraum. «Paare über 50, Singles und Zweithaushalte ohne Kinder» sollten der Schwerpunkt sein für die Vermarktung der 383 Wohnungen, hatte schon 2015 der damalige Geschäftsführer der Firma Epple in Heidelberg im goodnews4-Interview offen angekündigt. goodnews4.de berichtete. Auch die Hoffnung, die einer der Sprecher von Epple bei der letzten Gemeinderatssitzung verbreitete, war schnell als Beruhigungspille erkennbar. Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten solle es im neuen riesigen Wohnrevier geben. Doch eine schlichte Frage von FBB-Stadtrat Martin Ernst nach dem Quadradmeterpreis machte am gleichen Abend alle Hoffnungen für Wohnraumsuchende Normalverdiener zunichte. Der Epple-Sprecher musste einräumen, dass es deutlich unter 4.000 Euro auch bei den günstigen Angeboten auf dem ehemaligen SWR-Gelände kein Angebot geben wird.

In einem goodnews4-VIDEO-Interview macht Stadtrat Martin Ernst, Freie Bürger für Baden-Baden, nochmal deutlich, welche Auswirkungen das gewaltige Immobilienprojekt in Baden-Baden haben könnte. Er verweist auf den Immobilienbericht, den die Stadt Baden-Baden selbst vorgelegt hat. Dort zeige sich, dass in den Jahren 2015 und 2016 jeweils 36 Neubauwohnungen verkauft worden seien und zwar über alle Stadtteile hinweg. Die Konzentration von 383 Wohnungen allein in der Innenstad würde die Nachfrage auf weit über 10 Jahre hinaus decken, vorausgesetzt, dass in diesem Segment nicht mehr für wohlhabende und reine Investoren gebaut wird. Der im Baden-Badener Gemeinderat vielgescholtene FBB-Stadtrat und Immobilienhändler Martin Ernst geht sieht im goodnews4-VIDEO-Interview bei seiner sorgenvollen Prognose eine mögliche Immobilienblase, die auch die bisher verwöhnten Wohnbauunternehmen, die Handwerker und die Immobilienbesitzer in Baden-Baden treffen könnten.

Von den sogenannten soziokulturellen und soziodemografischen Auswirkungen für die Innenstadt spricht auch Martin Ernst nicht. Kein Platz für Kinder, kein Platz für junge Arbeitnehmer, kein Platz für jene jungen Familien, die nicht zur erbenden Generation gehören. Dass ausgerechnet der von den Bürgern finanzierte SWR diese wohl größte Bauspekulation in der Baden-Badener Geschichte auf den Weg brachte, spricht für den Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner Gremien, denen Politiker angehören, die dort und gleichzeitig im Baden-Badener Gemeinderat und im Stuttgarter Landtag mitentscheiden. Eine demokratische Kontrolle ist dies nicht mehr.


Abschrift des goodnews4-VIDEO-Interviews mit Martin Ernst:

goodnews4: Große Wohnbauprojekte stehen in der Baden-Badener Innenstadt bevor. Dazu gehört neben dem Vincentius-Areal das Projekt «Wohnen am Tannenhof» auf dem vom SWR verkauften Gelände. Dort sollen 383 Wohneinheiten entstehen. Kann der Wohnungsmarkt der Innenstadt das verkraften?

Martin Ernst: Das kann er selbstverständlich nicht verkraften. Die Stadt Baden-Baden gibt selbst alle zwei Jahre einen Zweijahresbericht raus über alle getätigten Immobiliengeschäfte in diesem Zweijahreszeitraum. In diesem Zeitraum wurden in den letzten beiden Jahren 2015 und 2016, die wir momentan haben, pro Jahr 36 Neubauwohnungen verkauft, und zwar über alle Stadtteile hinweg. Wenn wir jetzt 383 haben, ist das der Bedarf der nächsten zwölf Jahre nur an diesem Platz. Wenn Sie da noch dazurechnen, dass es natürlich noch weitere Neubauprojekte in der City und in den Stadtteilen gibt, ist das der Bedarf der nächsten 20 Jahre. Das kann der Markt unter gar keinen Umständen aufnehmen. Was wir haben, ist einen extremen Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Alle Baugenossenschaften der Stadt haben Wartelisten mit mehreren hundert Personen, die auf preisgünstigen Wohnraum warten. Diese Chance hat die Stadtverwaltung leider vertan, dass sie hier handelt. Diese Fragen müssen Sie unserer Oberbürgermeisterin stellen, denn die hat einen Antrag der Stadträtin Frau Sperling-Theis und von mir damals abgelehnt.

goodnews4: Was könnten denn die Konsequenzen sein? Rechnen Sie damit, dass die Immobilienblase in Baden-Baden insgesamt platzen könnte?

Martin Ernst: Wenn so ein riesen Bedarf an den Markt kommt, wo wir Masse statt Klasse produzieren, wird diese Blase auf jeden Fall kommen. Aber das Platzen einer Seifenblase hat ja immer zwei Seiten. Die gute Seite ist, dass die Käufer unter wesentlich mehr Objekten zu wesentlich besseren Preisen auswählen können. Was ist denn daran schlecht? Grundsätzlich muss jeder wissen, der eine Immobilie kauft, dass «immobil» unbeweglich heißt und ich muss eine Immobilie über einen längeren Zeitraum halten, nämlich mindestens zehn Jahre, dann gab es noch keinen Zeitraum nach dem Krieg, wo die Immobilieneigentümer noch kein Geld verdient haben. Aber das Platzen einer Blase, dass mal etwas Ruhe in den Markt reinkommt, so schlecht würde ich das nicht finden.

goodnews4: Ein Vertreter des Investors Epple aus Heidelberg hatte gegenüber goodnews4.de gleich zu Beginn des Projektes keinen Zweifel daran gelassen, dass die meisten der 383 Wohnungen für sehr solvente Käufer konzipiert werden. 50 Plus und Kinderlos. Ein Vertreter von Epple Heidelberg hat diese Zielsetzung nun bestritten. Ist denn die Zusage glaubwürdig, dass es für «alle Schichten» Wohnraum geben wird auf dem vom SWR verkauften Gelände?

Martin Ernst: Wir müssen erstmal definieren, was man unter bezahlbarem Wohnraum versteht. Ich höre in den ganzen Ausschüssen und Gremien immer, dass man von bezahlbarem Wohnraum spricht. Das habe ich in den letzten Sitzungen auch gehört. Jetzt frage ich Sie und auch Ihre Hörer: Wenn ich bezahlbaren Wohnraum bei einem Reihenhaus, was in dieser Tallage hier unten entstehen soll, wenn da 150 Quadratmeter mit 4.000 Euro angesetzt werden, muss eine junge Familie 600.000 Euro für ein kleines Reihenhaus bezahlen. Ist das bezahlbarer Wohnraum?

goodnews4: Auch die Infrastruktur unserer Stadt steht auf dem Prüfstand. Für 575 Autos sollen Tiefgaragen entstehen. Ein Gutachten des Investors geht von einem Verkehrsaufkommen von 860 Kfz pro Werktag aus und dass die Verkehrszunahmen «jedoch durch das vorhandene Verkehrsnetz aufgenommen werden können». Kann Ihrer Ansicht nach die Fremersbergstraße und die umliegenden kleinen Straßen, den zusätzlichen Verkehr bewältigen, denn auch die Mitarbeiter des SWR kommen ja über diesen Weg zu ihrer Arbeit?

Martin Ernst: Was ich in den Unterlagen lesen konnte, war lediglich eine Seite, wo ein Gutachter dazu kam, dass sich durch den Wegfall der Arbeitsplätze und durch den Bau von 383 Wohnungen am Verkehrsaufkommen nicht wesentlich etwas ändert. Nur, wir haben ja noch nie erlebt, dass sich ein Gutachter irrt, oder? Und im Übrigen muss ich dazu eines sagen: Ich habe in den Unterlagen auch gesehen, dass nicht eine Tiefgarage entsteht, sondern dass hier in den Berg etwa fünf einzelne Garagen entstehen mit jeweils etwa hundert Parkplätzen pro Garage. Jeder, der diese Topografie kennt, weiß, dass wir hier Fels haben. Das heißt also, man muss alle Tiefgaragen in den Fels sprengen und ich hoffe und wünsche sehr, dass der Investor diesen Umstand in seinem Planungen und den ganzen Hochrechnungen drin hat, denn es wäre bitter, bitter schade, wenn hier etwas entstehen würde, was nicht bis zum Ende durchgeführt werden kann. Ich habe übrigens in den ganzen Ausschusssitzungen für das Projekt gestimmt, obwohl ich immer große Zweifel angemeldet habe, denn der Investor kann ja nichts dafür, dass die Stadt eine verfehlte Wohnbaupolitik betreibt und ich wünsche der Firma Epple als Investor, dass sie dieses Engagement jetzt sehr zügig abwickeln, damit die Belastungen für die Umwelt und für die Menschen, die hier wohnen, in einem zeitlichen Element bleiben.

goodnews4: Der frühe Meinungs- und Willensbildungsprozess ist an den meisten Bürgern vorbei gegangen, wie so oft. Erst durch die Bekanntgabe von nicht mehr rückholbaren Entscheidungsschritten wurde die Öffentlichkeit unterrichtet. Erst sehr spät erfuhren die Bürger und Anwohner von den monatelangen Sprengungen, die nun für den Neubau des SWR-Medienzentrums und dann ja wohl auch für das Wohnbauprojekt am Tannenhof bevorstehen. Warum beziehen Rathaus und Gemeinderat die Bürger immer erst so spät ein in solch wichtige Entscheidungen? Da heißt es immer, in der «Offenlage» kann ja jeder zu Wort kommen, aber davor sind ja schon entscheidende Schritte getan und entscheidende Beschlüsse gefasst worden, bevor es überhaupt zu einer Offenlage eines Bebauungsplans kommt, und die Grundlinien eines Projektes sind dann ja nicht mehr änderbar. Sie sind ja als Stadtrat für diese Informationspolitik mitverantwortlich?

Martin Ernst: Alles, was Sie sagen, stimmt. Wissen Sie, wir haben uns vor Jahren eine Agenda 2020 gegeben, wir hatten kürzlich wieder zweitägige Klausurtagungen. Ich sehe und stelle fest in diesen vier Jahren, wo ich in diesen Gremien drinsitze, dass es zwar hehre Sprüche gibt, dass man viele Dinge aufschreibt, aber sobald ein Investor mit großen Aufträgen wünscht, ist alles, was man sich vorher an eigenen Vorgaben gab, obsolet. Ich vermisse bei der Stadtverwaltung, insbesondere bei unserer Oberbürgermeisterin, dass sie an die Bürger denkt. Eine Oberbürgermeisterin, die ihre Bürger vergisst, ist wie ein Feldherr, dem die Soldaten weglaufen. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Oberbürgermeisterin in ihrer zweiten Hälfte, denn sie hat ja zwei, drei, vier Jahre noch vor sich, dass sie auch an die Bürger denkt, die sie in vier Jahren wieder wählen sollen.

goodnews4: Aber Teil der Stadtverwaltung ist ja auch der Gemeinderat und Teil des Gemeinderats sind ja auch Sie. Können Sie nicht etwas tun, damit die Öffentlichkeit früher einbezogen und früher informiert wird?

Martin Ernst: Frau Milke, Sie sind ja selbst in diesen ganzen Sitzungen öfter drin. Eine einzelne Stimme ist gegen die Parteien relativ wenig wert und ich muss feststellen, dass in der Demokratie die Mehrheit das Sagen hat. Ob diese Mehrheit Recht hat oder nicht, das mögen die Bürger selbst entscheiden. Ich würde es mir sehr wünschen, dass bei der nächsten Wahl andere Mehrheitsverhältnisse kommen, damit man eine bürgernahere Politik durchsetzen könnte.

goodnews4: Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Nadja Milke für goodnews4.de.

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goodnews4-VIDEO-Interview von Nadja Milke mit Martin Ernst


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